Der Kanadier Alexander MacLeod (Jahrgang 1972) schreibt Kurzgeschichten und lehrt an der Saint Mary’s University in Halifax in der kanadischen Provinz Nova Scotia. Er ist der Sohn von Alistair MacLeod, der ebenfalls als Schriftsteller tätig war. Am 1. November 2023 veröffentlichte der Luchterhand Literaturverlag Alexander MacLeods neue Short Stories „Tun, was getan werden muss“. Henning Ahrens übersetzte sie ins Deutsche.
Von einem Kaninchen bis zu einem Serienmörder
In „Tun, was getan werden muss“ versammelt Alexander MacLeod acht Kurzgeschichten.
„Lagomorpha“ ist der Titel der ersten Geschichte. Es ist die Bezeichnung für hasenartige Tiere. Tatsächlich ist das Kaninchen Gunther das Überbleibsel einer Familie und lebt bei David. Die erwachsenen Kinder sind aus dem Haus und Sarah und David leben getrennt. Eines Tages nimmt David Gunther das erste Mal mit in den Garten.
In „Was die Toten wollen“ nimmt Joe an der Beerdigung seiner Kusine Beatrice teil, die bei einem Unfall mit einem Quad ums Leben gekommen ist. Ihr Freund Cory überlebte den Unfall unverletzt. Joe erfüllt Cory einen letzten Wunsch.
Ein Vielflieger nimmt die Koffer anderer Passagiere vom Gepäck-Laufband mit nach Hause und schnüffelt in ihren Sachen herum. Nach einer Weile gibt er sie am Flughafen wieder zurück. Bis er Tanyas Tasche mitnimmt.
Die Kurzgeschichte „Was im Dunkel liegt“ beschreibt das zwischen Liebe und Hass schwankende Verhältnis zwischen den Schwestern Becca und Kate.
In „The Entertainer“ geht es um einen Konzertauftritt von Musikschülerinnen und -schülern in einem Altenheim. Die demente Gladys Ferguson hilft dem jungen Darcy bei seinem schwierigen Musikstück.
Die Jungenfreundschaft zwischen Allan Klassen und dem Ich-Erzähler in der Geschichte „Gemarkung Nummer neun“ endet, als der Vater von Allan sexuell übergriffig wird. Der mexikanische Landarbeiter Edgar schreitet ein und wird dafür entlassen.
Amy und Matt besuchen mit ihrem Baby Ella Matts Großtante Greet Walker, die in einem Zimmer die Sachen verstorbener Verwandter oder Bekannter sammelt, die den Erben nicht in die Hände fallen sollen.
In der letzten Geschichte „Die Schlüsselübergabe“ übernachtet eine junge Familie in einem Motel. Ihr Zimmernachbar entpuppt sich später als Serienmörder.
Short Stories mit dunklen Untertönen
Alexander MacLeod erzählt Alltagsgeschichten. Die Texte beginnen harmlos, beinahe langweilig, plätschern vor sich hin und ‚zack‘ tritt der Grusel oder das Grauen ein. Da spielt z.B. David mit dem Kaninchen und im nächsten Moment wird es von einer Schlange beinahe erwürgt.Seine Figuren müssen sich mit Trennung, Tod, Hass, Demenz, sexuellen Übergriffen, abseitiger Sammelleidenschaft oder Gewaltverbrechen herumschlagen. In ihre ganz normalen Leben mischen sich plötzlich riskante, bedrohliche oder seltsame Situationen, in denen sie dann „Tun, was getan werden muss“.
Alexander MacLeod beherrscht die kurze Form des Erzählens. Da gibt es nichts zu meckern. Doch mir als Lesende fehlt eine gewisse Tiefe. MacLeod entfacht kein Feuerwerk der Erzählkunst. Und ich glaube, es liegt an MacLeods Plauderton, in dem er die Geschichten erzählt. Er läßt seine Figuren an der Oberfläche. Für sie geht alles nocheinmal gut aus. Nach einer erschütternden Episode geht es einfach weiter. Wie bei dem Jungen, der vom Vater seines Freundes beinahe sexuell missbraucht wird und nur knapp von einem Angestellten gerettet wird, den MacLeod sagen lässt:
„All das ist lange her. Ich lebe nicht mehr in Essex County, muss auch nicht dorthin zurückkehren, es sei denn aus freien Stücken.“ (S. 202/203)
Das ist mir ein bisschen zu wenig. Es klingt mir zu seicht.
Trotzdem halte ich die Stories „Tun, was getan werden muss“ von Alexander MacLeod insgesamt für lesenswert.
Alexander MacLeod: Tun, was getan werden muss – Stories.
Aus dem Englischen von Henning Ahrens.
Luchterhand Literaturverlag, November 2023.
288 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.