Abbas Khider: Palast der Miserablen

„‚Und mein Vater?‘

‚Er ist zu Hause. […] Morgen reden wir weiter. Morgen reden wir über den Palast der Miserablen.‘“

Mit diesen lauernd drohenden Sätzen entlässt Abbas Khiders neuester Roman „Palast der Miserablen“ in eine Todesszene, deren Kontrast zur restlichen Handlung nicht gravierender sein könnte, in eine Tragik, die von Anfang an gefürchtet, doch stets durch Hoffnung überwunden wurde.

Es ist ein Ende, das wütend macht und erschüttert, das dazu bewegt, die Welt mit Füßen treten zu wollen und aller Gewalt ins Angesicht zu spucken. Abbas Khider, durch seine eigene Kindheit und Jugend im Irak, verschiedene Festnahmen und die Flucht nach Deutschland geprägt, schafft mit seinen Werken genau das, übt Kritik an den Zuständen in seinem Heimatland und weckt Aufmerksamkeit, indem er seine Erzählungen so persönlich und realitätsnah gestaltet, dass es einfach fällt, ihnen zu verfallen. So bin auch ich hineingezogen worden in die quirlig-bunte, von immerwährendem Krieg, Wirtschaftsembargos und Armut geprägte Welt des jungen Shams Hussein, begleite ihn auf seinem Weg ins Erwachsenwerden, durch verschiedene Selbstfindungsphasen bis hin zu dem Moment, an dem in einer einsamen Zelle im Bauch eines Militärkrankenhauses seine Hoffnung zu sterben droht. Und mit ihr sterbe auch ich, denn während der Erzählung, typisch Khider schnörkellos und direkt, wurde Shams für mich zum Freund, seine Familie zu Vertrauten und die Bagdader Straßen seines Zuhauses auch für mich lebendig. Die Detailliertheit, mit der Shams Realität geschildert wird, vermag es, seiner Welt wie bei einem Popup Book mit jeder neuen Seite vor meinem inneren Auge Form zu verleihen. Zusammen tollen wir über den Müllberg des Blechviertels, das wenn auch von Armut geprägt, so doch ein liebevolles Zuhause ist. Wir verkaufen illegal Wasser, helfen bei einem Busunternehmen aus, stöbern nach Pornoheften und entdecken schließlich Seite an Seite den Büchermarkt. Gemeinsam verlieben wir uns in diesen Ort im Herzen Bagdads, an dem sich Shams eine neue Welt eröffnet und der ihm zum Zufluchtsort wird, so fremd und fern wie ein anderer Planet und dennoch bald Heimat für den jungen Mann. Dieser Ort ist es letztendlich, der ihn formt, der ihm den Zugang zu neuen Freunden ermöglicht und die Pforten zum Palasts der Miserablen aufstößt: Eine bunte Gruppe verschiedenster Menschen, die im Verborgenen und in der allgegenwärtigen Gefahr gesprochener Worte zusammen lachen, singen, über Politik und Literatur diskutieren und nach und nach von ihren Schicksalen geschluckt werden.

Zurück bleiben nur Shams auf seiner ewigen Suche nach einem besseren Leben, nach einem Überleben gar, und ich, die ich zu verstehen versuche, wieso dieser junge Mann, kaum den Kinderschuhen entschlüpft und zu sich selbst gefunden, bereits dem Ende seiner Geschichte gegenübersteht und allein gelassen wird mit der Frage nach dem „Warum“. Die gleichgültige Willkürlichkeit seines Schicksals erscheint wie ungerecht gewürfelt, springt mich an und hält mich noch lange nach der letzten Seite atemlos fest in dem Wissen, wie wenig ich eigentlich weiß. Letztendlich kann ich nur Danke sagen. Abbas Khider, deine Werke öffnen Augen.

Abbas Khider: Palast der Miserablen.
Hanser, Februar 2020.
320 Seiten, Gebundene Ausgabe, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Luisa Aufderheide.

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