Ragnar Jónasson: Insel

Mit das Faszinierendste an Ragnar Jónassons Krimis – neben den wirklich außergewöhnlichen Covergestaltungen –  sind die beeindruckenden Schilderungen von Islands Landschaften und der Stimmungen. Der Autor schafft es, in der Leserin Bilder zu wecken und sowohl die Schönheit wie auch die gleichzeitige Bedrohlichkeit der Natur so nahezubringen, dass es sich anfühlt, als wäre man dort, während man seine Bücher liest. Die Schwermut, die sich durch Dunkelheit und Kälte auf die Menschen legt, wird regelrecht greifbar.

Die Handlung des Romans liegt viele Jahre vor der des ersten Bandes der Trilogie „Dunkel“. Hulda Hermannsdóttir ist zu Beginn des Romans mehr oder weniger glücklich mit Jón verheiratet und Mutter der 13-jährigen Dimma. Sie steht noch am Anfang ihrer Karriere als Kommissarin bei der Polizei Reykjavik, hofft auf den Chefposten. Der jedoch an ihren Kollegen Lýdur geht, nachdem dieser einen der seltenen Mordfälle in Island erfolgreich aufklären konnte. Mit diesem Fall beginnt der Roman, um dann zehn Jahre später wieder einzusetzen.

Ein vermeintlicher Unglücksfall, zu dessen Aufklärung Hulda gerufen wird, führt dazu, den alten Fall wieder komplett aufzurollen. Involviert sind vier junge Menschen, die sich zu einer Wiedersehensfeier auf einer abgelegenen, einsamen und nur schwer zugänglichen Insel getroffen haben. Alle vier sind auf unterschiedliche Weisen mit dem alten Fall von vor zehn Jahren verbunden und jeder und jede hat davon Narben zurückbehalten.

Es gelingt dem Autor, die innere Zerüttung der jungen Leute ebenso gut zu schildern wie die zerklüfftete und teils lebensgefährliche Beschaffenheit der Insel, auf der die Vier ganz allein sind. Bis es einen Todesfall gibt.

Wie auch schon in „Dunkel“ gibt es eine Parallelhandlung um Hulda und ihr Privatleben. Sie beginnt, als ihre Mutter stirbt, nach ihrem unbekannten Vater zu suchen und reist dafür bis in die USA. Außerdem kämpft sie mit der andauernden Trauer um ihre Tochter, die sich mit 13 das Leben nahm und um ihren Mann, der kurz danach starb. Hulda ist keine nette Romanfigur, es fällt der Leserin nicht wirklich leicht, sie zu mögen oder mit ihr zu fühlen. Sie ist sperrig, verschlossen, man kratzt und stößt sich an ihr – und wünscht ihr dennoch Erfolg, sowohl bei der Aufklärung ihres Falles wie auch in ihren Familienangelegenheiten.

Auch wenn die Spannung für einen Thriller mir eher gedämpft erscheint, versteht der Autor es geschickt, irreführende Spuren zu legen und die Leserin auf die falschen Fährten zu locken. Anderes scheint dann doch auch wieder vorhersehbar.

Fazit: ein gut geschriebener, solider Kriminalroman in faszinierender Umgebung. Ich bin gespannt auf Teil 3, den im September erscheinenden Band „Nebel“.

Ragnar Jónasson: Insel.
btb, Juli 2020.
384 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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