Lukas Hartmann: Ein passender Mieter

Bei Margret und Gerhard hängt der Haussegen schief. Das Paar im mittleren Alter hat sich nicht mehr viel zu sagen. Nur die langjährigen Gewohnheiten und der Sohn Sebastian sind der Halt in ihrer Ehe. An dem Tag, an dem Sebastian fluchtartig auszieht, beginnt das Fundament ihrer Ehe zu bröckeln.

Gerhard will die Anliegerwohnung des Sohnes vermieten. Was Margret will, überhört er routiniert. Nach einem Inserat und Kennenlernen lassen sie den Fahrradmechaniker Beat in das ehemalige Reich des Sohnes einziehen. Er ist in Sebastians Alter und ein stiller Zeitgenosse, der seine Freizeit fast vollständig mit Fahrradfahren ausfüllt. Als im Laufe der nächsten Monate immer häufiger von Überfällen auf junge Frauen berichtet wird, wächst in Margret ein Verdacht. Ein ungutes Gefühl nährt ihre Angst. Natürlich nimmt Gerhard sie nicht ernst. Schon seit Ewigkeiten hat er sie nicht ernstgenommen. Und Margret hat sich angewöhnt, ihre Wahrnehmungen ebenfalls zu hinterfragen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Trotzdem wird die Angst stärker und lähmt sie.

An dem Tag, an dem sie der Polizei ihren Verdacht mitteilen will, wird Beat verhaftet. Danach könnte das gewohnte Leben wieder aufgenommen werden. Doch es will einfach nicht passen.

Der Schweizer Autor Lukas Hartmann schreibt Romane für Kinder und Erwachsene. Das klassische Thema vieler Eltern im mittleren Alter verpackt er neu. Der Neubeginn seines Ehepaares stolpert über die Lücke, die der flügge gewordene Sohn hinterlassen hat. Statt den Abnabelungsprozess zuzulassen, nehmen Gerhard und Margret einen jungen Mann auf, der ein zweiter Sohn werden könnte. Auch Beat floh wie Sebastian aus der mütterlichen Betreuung.

Wer flieht, hat oft etwas im Gepäck, vor dem ein Mensch nicht fliehen kann. Es bleibt an einem kleben, bis ein Ereignis, eine Erkenntnis ein Abstreifen ermöglicht.

Lukas Hartmann hätte einen Krimi schreiben können, in dem die wachsenden Zweifel und Ängste im Unerträglichen gipfeln. In einem starken Showdown würde die Maske fallen und das Gute hoffentlich gewinnen. Statt dessen hat er in einem spannend zu lesenden Drama, die Geschicke einer Familie im Blick. Die nicht vorhersehbaren Ereignisse zweier Jahre ranken sich bis zum Wendepunkt um Margret, dem Zentrum der Familie. Eine Kette bricht bekanntlich am schwächsten Glied. Aus diesem Grund steht und fällt mit Margret der künstliche Zusammenhalt verschiedener Menschen, die verlernt haben, miteinander zu reden. Der normale Alltag, könnte man meinen.

Lukas Hartmann: Ein passender Mieter.
Diogenes, November 2017.
368 Seiten, Taschenbuch, 13,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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