Lucas Vogelsang: Heimaterde

Egal, wie das Buch allgemein gewertet, gemocht oder zerredet wird – wir haben hier eine literarisch – sprachliche Meisterleistung vorliegen. Lucas Vogelsang gelingen Satzgemälde, die ich lange nicht mehr so gelesen habe. Wenn ich das mit der angloamerikanischen modernen Belletristik vergleiche, könnte er glatt für einen deutschen Richard Ford durchgehen, der auch in großartiger Lakonie beschreiben kann. Eben Emotionen, Haltungen, Gedanken. Vogelsang nimmt uns mit auf eine Reise, nein, eher eine Suche danach, was „Heimat“ bedeutet oder vielmehr: nicht mehr. Wir treffen auf die unterschiedlichsten Verjagten, Geflohenen, Verratenen, Abgehängten, Entwurzelten.

Wir lernen ganz nebenbei die aktuellen und die schon länger zurückliegenden Krisenherde der Welt, die für diese permanenten Völkerwanderungen (wenn man es positiv ausdrückt) und Fluchten verantwortlich sind. Er beobachtet bei seinen Begegnungen die Menschen genau, die Regungen, die Traurigkeit, vor allem die Wut oder die Hilflosigkeit. Die Versuche, in der neuen Umgebung sich zu behaupten, die mitgeschleppten religiösen Überbauten und Fundamente, die das Leben heute so kompliziert bis gefährlich – bzw., nahezu unmöglich machen. Heimat, was ist das? Wenn man sich, wie ich grad, frei und sicher fühlt, würde ich sagen, ok – Heimat ist hier. Meine Freunde, Familie sind in der Nähe, ich habe bescheidene Erfolge und satt zu essen. Und stellen wir uns jetzt mal vor, da kommt so ein Trümmerkopf  mit idiotischem Gefolge (hatten wir ja schon mal) und du musst plötzlich abhauen. Irgendwohin – man verspricht Dir – und hilft Dir in ein Land zu kommen, dass es da irgendwie weitergeht. Und während es irgendwie weitergeht, geht es nicht weiter.

Du strandest eher, und wenn Du überlebt hast, heißt das heute im Leben nicht, dass Du Wurzel schlagen kannst. Wenn Du einmal unterwegs bist, musst Du immer auf der Hut sein, weil, so „willkommen“ bist Du gar nicht. Tja, dann kommen die wütenden Tage. Die zu Jahren werden. Ein beklemmendes, wahres Buch. Absolute Empfehlung! Wenn es nicht so bescheuert wäre, würde ich jetzt folgendes ans Ende setzen: wer sich für Lucas Vogelsang interessiert, dem würden auch diese Bücher gefallen: Ulrich Gruber „Der leise Atem der Zukunft“ und Henning Sußebach: „Deutschland ab vom Wege“. Ähnliche Thematik, unterschiedliche Herangehensweisen – aber ebenso faszinierend!

Lucas Vogelsang: Heimaterde.
Aufbau Verlag, März 2017.
330 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Fred Ape.

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