JP O’Connell: Hotel Portofino

Spätestens seit der Erfolgsserie „Downton Abbey“ boomen Liebesränke, Intrigen und gesellschaftspolitische Umwälzungen der 20er Jahre vor malerischem Hintergrund. Ein ebensolcher wurde in diesem Roman gefunden: Das heute noch beim Jetset beliebte Fischerdorf Portofino an der ligurischen Riviera. Entlang des Küstenabschnitts haben sich seit dem 19. Jahrhundert wohlhabende Engländer niedergelassen, dabei malerische Villen, Gärten und Vergnügungsstätten wie das Casino in San Remo hinterlassen. Mit einer exklusiven Villa hat Bella Ainsworth sich einen Traum erfüllt und ein eigenes Hotel eröffnet. Die äußerst diverse Gästeschar bietet Raum für amouröse sowie kriminelle Verwicklungen aller Art.

Bella Ainsworth hat sich einst in ihren Flitterwochen in Italien verliebt. Im Jahr 1926 erfüllt sich die attraktive Endvierzigerin ihren großen Traum und zieht mit der ganzen Familie nach Ligurien, um dort ein mondänes Hotel in einer alten Villa zu eröffnen. Doch innerfamiliär brodeln Konflikte: Ehemann Cecil geht dem „Beruf“ des Gentlemans nach und hat mit harter Arbeit nichts am Hut. Stattdessen lebt er auf Pump, verprasst das Vermögen von Bellas Vater. Bellas Selbstverwirklichung ist ihm ein Dorn im Auge. Die britische Upperclass arbeitet nicht, sondern lässt arbeiten. Tochter Alice ist eine junge Kriegswitwe und dadurch trotz ihrer reizenden Tochter Lottie äußerst verbittert geworden. Sohn Lucien trägt acht Jahre nach Kriegsende körperliche und psychische Narben davon. Trost findet er in der Kunst, sehr zum Missfallen seines Vaters. Um den jungen Mann wieder auf den rechten Pfad zu führen und gleichzeitig die leidigen Finanzprobleme der Familie zu lösen, plant Cecil, den Sohn mit der schönen Rose, Sprössling einer wohlhabenden Familie, zu vermählen. Mit deren strenger Mutter Julia hatte Cecil einst selbst Techtelmechtel.

Doch zwischen den beiden will es nicht so recht funken. Noch dazu, weil das neue Kindermädchen Constanze, die selbst ein Händchen für Kunst hat, Lucians Aufmerksamkeit erregt. Doch Constanze hütet ein Geheimnis. Von ebensolchen ist auch der Rest der Gästeschar umgeben. Ein Tennisstar wettet gegen sich selbst, ein amerikanischer Kunstkenner tingelt – Skandal – mit seiner dunkelhäutigen Begleitung durch die Gegend. Eine reiche Lady will im sonnigen Süden einen Verlust verarbeiten, ein indischer Mediziner endlich zu sich selbst finden. Neben geheimen Liebschaften ist es vor allem ein wertvolles Gemälde sowie die Flugblätter einer kommunistischen Bewegung, die im Hotel Portofino für ordentlich Aufregung sorgen.

Die 20iger Jahren bieten einfach den perfekten Zeitrahmen für spannende, historische Geschichten. Wohl kaum eine andere Dekade war von derartigen Spannungsverhältnissen gezeichnet. Auf der einen Seite neu gewonnene Frauenrechte, blühendes Künstlerleben, rauschende Partys. Auf der anderen Seite aufkommender Faschismus und die Nachwehen des Ersten Weltkrieges, zum Beispiel eine traumatisierte Generation an jungen Männern. JP O´Connell macht hierbei keine halben Sachen. In diesen ohnehin schon explosionsartig angespannten Gesellschaftshintergrund packt er praktisch jedes Brennpunktthema: verbotene Liebschaften, uneheliche Kinder, verheimlichte Homosexualität, offener Rassismus, das Aufbegehren der Arbeiterschaft, den Zerfall der dekadenten britischen Upperclass.

Wie schon in „Downton Abbey“ oder „Gosford Park“ wird der Dienerschaft und den Einheimischen ebenso viel Platz in der Geschichte eingeräumt. Zum Beispiel dem Gemeinderatsmitglied Danioni, einem glühenden Mussolini-Anhänger, der Bella zu erpressen versucht. Oder die Hausangestellte Paola, mit der Lucien ein Verhältnis hat, ohne dabei das Abhängigkeitsgefälle zu bedenken. Oder die englische Köchin Betty, die mit ihrem einzig verbliebenen Sohn die Herausforderungen der italienischen Küche angeht. Und dabei auf clevere Lösungen kommt. Beispiel: Älteren Ladies mit angespannten Nerven wird der Limoncello gerne unter dem Stichwort „Limonade“ zur Teestunde aufgetischt… Auch den Frauen gibt der britische Journalist und Autor jede Menge Platz. In Zeiten, in denen Badeanzüge noch für einen Skandal und außereheliche Schwangerschaften für den gesellschaftlichen Ruin sorgten, während Züchtigungsmaßnahmen durch den Ehemann als akzeptabel angesehen wurden, mussten Frauen sich ihren neuen Platz in der Gesellschaft erst mühsam erkämpfen.

Das alles bietet beste Unterhaltung, diesseits und jenseits von Ligurien und Balkonien. Locker, leicht und süffig wie ein Aperitivo, zergeht der Roman blitzschnell auf der Zunge. Aufgrund der Fülle der Charaktere kann nicht jeder Einzelne detailliert beleuchtet werden. So sind es eher gewitzte Beobachtungen, gekonnte Spitzen und hitzige Taten, die hier den Plot vorantreiben und den Charakteren Kontur verleihen. Einziger Wehmutstropfen: Es scheint, als habe es JP O’Connell bereits eine Fortsetzung oder Serie im Hinterkopf. Wer eine komplett abgeschlossene Handlung erwartet, dürfte etwas enttäuscht sein. Dafür wirken die Handlungsfäden zum Teil noch zu lose, vieles scheint noch nicht zu Ende erzählt. Um es positiv zu betrachten: Vermutlich steht der literarische Nachfolger von Hotel Portofino bereits in den Startlöchern. An malerischen Locations zwischen Cinque Terre, Genua und San Remo dürfte es nicht mangeln.

JP O’Connell: Hotel Portofino.
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Kemper.
DuMont Buchverlag, Juni 2022.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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