Jón Gnarr: Der Outlaw – Eine isländische Jugend am Rande der Gesellschaft

Jón Gnarrs Werdegang ist mehr als abenteuerlich: Problemkind, Punker, Anarchist, Radiokomiker, Gründer der „Besten Partei“ Islands, Oberbürgermeister von Reykjavik. Nach seiner Biografie „Indianer und Pirat“ setzt diese Autobiografie in einer schmerzlichen Zeit an: Jón landet in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche. Der Vierzehnjährige hadert mit den Regeln des Schulsystems, doch er findet etwas Zugehörigkeit. Unter Islands verlorenen Kindern ist er nicht mehr länger ein Mobbingopfer. Er ist der coole „Jonsi-Punk“.

Die Jugendanstalt in Núpur liegt am Rande der Welt, umgeben von Meer, Felsen und meterhohen Schneehügeln. Hier wären Gitter vor den Fenstern gar nicht nötig, da es nichts gibt, wohin die Jugendlichen flüchten könnten. An diesem Ort verbringt Jón zwei Jahre seines Lebens. Tapfer gilt es, verdorbenen Walgulasch hinter zu würgen und sich morgens den Weg frei zu schippen.

In der neuen Umgebung bleibt Jón ein Exot, der jedoch die Rolle des Spaßvogels ausfüllt und sich Respekt verschafft. Seine schulischen Leistungen bleiben miserabel, nur in der Schauspielerei entwickelt Jón ungeahnte Talente. Erfährt er im Jugendheim noch einen gewissen Halt, droht nach Schulende der totale Absturz. Musik wird zu einem wichtigen Teil seines Lebens. Er schildert den Unterschied von Punk zu „Crass“-Punk, analysiert Songtexte, lässt New-Wave-Legenden auferstehen. Sie prägen Gnarrs anarchistisches Weltbild und lassen ihn tiefe Täler des Selbstzweifels überstehen.

Der Schreibstil des Autors ist so schnörkel- wie schonungslos. In offenen Worten geschildert, scheut er sich auch vor den allerpeinlichsten Jugendepisoden nicht zurück. Der erste Samenerguss oder eine Penisoperation mit all ihrem Schrecken werden ebenso wenig ausgespart wie seine Drogeneskapaden. Stets pleite beschreibt Gnarr, wie er sich mit den Alkoholresten umstehender Gläser in Bars einen Rausch antrinkt und Abendessen aus gekochtem Katzenfutter zubereitet.

Manches davon liest sich erschütternd, manches urkomisch. Denn Gnarrs zuverlässig aufblitzender Wortwitz bringt uns die Eigenheiten des faszinierenden Inselvolkes von Island näher. Eine solche Biografie wäre außerhalb des 330.000 Einwohner-Staates undenkbar.

Der „Outlaw“ funktioniert auf mehreren Ebenen. Er ist eine Mut machende Biografie für alle Paradiesvögel dieser Welt, ein Plädoyer für Vielfalt – und in gewisser Weise sogar eine moderne Wikingersaga über die gesellschaftlichen „Entdeckungsfahrten“ des rothaarigen Anti-Helden, der später zum Hoffnungsträger einer Nation wird. Der Punk-Bürgermeister ist einer der wenigen Politiker, deren Beliebtheitswerte nach ihrer Amtszeit sogar noch höher waren als zuvor. Oder wie Gnarr es ausdrücken würde: Den Spaß mit Ernst betreiben!

Jón Gnarr: Der Outlaw – Eine isländische Jugend am Rande der Gesellschaft.
Tropen, Februar 2017.
287 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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