Friedrich Ani: Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne von Friedrich Ani„Eine Insel. Ein Haus. Ein Keller. Fünf Jugendliche, die mit Gewalt darin festgehalten werden. Kein Tageslicht. Und täglich wird einer von ihnen nach oben geholt. Doch niemand spricht über das, was dort geschieht. Denn wer spricht, stirbt, bekommen sie gesagt. Die Lage scheint aussichtlos, und Angst, Wut, Schmerz, Verzweiflung und Sehnsucht lassen die Jugendlichen beinahe verrückt werden. Doch nichts kann sie retten vor den schrecklichen Dingen, die geschehen. Bis ein neuer Junge zu ihnen gebracht wird, der nicht bereit ist, die Gewalt zu akzeptieren“, so die Ankündigung des Verlages zu Friedrich Anis Jugendbuch. Empfohlen ist es Jugendlichen ab 16 Jahren – und harter Stoff.
Die Jugendlichen im Buch sind zum Teil Kinder (12 Jahre alt), die sexuell missbraucht werden, ohne eine Hoffnung auf ein Leben nach der Zeit im Keller und als Missbrauchsopfer zu haben. Denn Zeit als Kategorie ist ihnen längst abhanden gekommen.
Die fünf Gefangenen sind ganz individuelle Wesen, die an dem Leid unterschiedlich wachsen oder verkümmern. Ani schildert teilweise extreme Lebensgeschichten, so die eines Jugendlichen, der vor seiner Gefangenschaft bereits einen Mord begangen hat und nun selbst getötet wird. Diese Biographie wäre bereits ein eigenes Buch wert. Die Zusammenballung an Gewalt, die die Kinder und Jugendlichen erleben und erlebten, wirkt absolut erdrückend. Ihre Befreiung ist daher unerwartet und noch lange kein Happy End. Die Gruppe ist nicht in der Lage, ohne einander und in der Welt zu existieren, aus der sie stammen, eine Kontaktaufnahme mit Familie, Freunden oder gar Polizei scheint unmöglich. Sie verbleiben in einem neuen, selbstgewählten Untergrund.
Sprachlich ist der Roman brillant, jeder Satz trifft und ohne Unaussprechliches auszusprechen ist es präsent. Es gibt eine längere Passage, in der die Kinder einander in Märchenform erzählen, wer sie sind, was sie fühlen, Wahrheiten, die nicht im Klartext ausgesprochen werden dürfen. Die Strafe hierfür wäre weitere Gewalt durch ihre Peiniger. Ich bin ehrlich: An dieser Stelle wollte ich einfach nur wissen, wie es weiter geht und die Krimileserin in mir wusste die lyrische Bildsprache nicht genug zu würdigen. Das Buch, das mich in Gedanken noch immer verfolgt, werde ich aber ein zweites Mal lesen, nicht in einem Rutsch, sondern mit Ruhe und dem Wunsch, die Figuren ihre Geschichten erzählen zu lassen.
Ist das Buch realistisch? Nach allem, was wir über entführte, gefangen gehaltene und missbrauchte Kinder wissen, ist das Szenario leider nicht undenkbar. Darf ein Jugendbuch das? Ja, ein Buch, egal für wen geschrieben, darf alles, es muss nicht belehren, nicht pädagogisch sein, nicht Auswege aus ausweglosen Situationen zeigen müssen.
Tatsächlich war ich gespannt, wie Ani die Sache ausgehen lässt, ein Happy Ed wäre für mich undenkbar gewesen und ich habe mit dem schlimmsten, düstersten Ende gerechnet. Wie Ani die Kinder in die Freiheit entlässt, ist allerdings genial und hat meine Erwartung an das Erzählen übertroffen.

Friedrich Ani: Die unterirdische Sonne.
cbt, Februar 2014.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Corinna Griesbach.

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