Axel Hacke: Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen

Anstand? Was genau ist darunter eigentlich zu verstehen? Und ist Anstand überhaupt noch zeitgemäß? Oder ist er vielleicht gerade in unserer heutigen Zeit unabdingbar? Diesen und weiteren Fragen geht Axel Hacke in seinem neuen Buch nach, das im August erschienen ist.

Axel Hacke ist sicherlich einer der bekanntesten Autoren Deutschlands, seit Jahren Kolumnist der Süddeutschen Zeitung und zudem Verfasser einer ganzen Reihe von Büchern. Oft handelt es sich dabei um eher humoristische Werke, die es schaffen, sowohl zum Lachen als auch zum Nachdenken anzuregen. ‚Der weiße Neger Wumbaba‘, ‚Der kleine König Dezember‘ oder ‚Ein Bär namens Sonntag‘ gehören jedenfalls zu meinen Lieblingsbüchern.

Nun ist im Verlag Antje Kunstmann das neue Buch von Axel Hacke erschienen. Eine Neuerscheinung, auf die ich mich als langjähriger Leser seiner Werke natürlich besonders gefreut habe: ein Buch über den Anstand.

Beim Lesen war mir schnell klar, dass es mir schwerfallen würde, das Buch wieder aus der Hand zu legen, denn es zog mich sofort in seinen Bann. Axel Hacke befasst sich darin intensiv mit den Fragen, die er im Buchtitel anspricht: Wie gehen wir miteinander um? Was ist unter Anstand zu verstehen? Und welchen Stellenwert genießt er in unserer heutigen Gesellschaft? – Fragen, auf die ich selbst gerne Antworten hätte und die mich sofort angesprochen haben.

Ein Zitat aus dem Klappentext drückt, wie ich finde, sehr schön aus, worum es dem Autor geht:

„Was bedeutet es für jeden Einzelnen, wenn Lüge, Rücksichtslosigkeit und Niedertracht an die Macht drängen, im Wirtschaftsleben erfolgreich sind, sich im Alltag durchsetzen? Wenn erfolgreich in der Öffentlichkeit gegen alle Regeln des Anstands verstoßen wird? Was heißt unter diesen Bedingungen genau: ein anständiges Leben zu führen.“

Axel Hacke geht, immer wieder auch in Gesprächen mit einem (imaginären?) Freund, zunächst der Frage nach, was Anstand eigentlich genau ist. Hatte beispielsweise Freiherr von Knigge mit seinem Benimmbuch etwa nur den Gedanken, den korrekten Gebrauch von Messer und Gabel zu vermitteln oder wollte er vielleicht, weit darüber hinaus, es den Menschen mit seinen Maßgaben erleichtern, anständig zu leben und gut miteinander auszukommen? Axel Hacke erforscht, hinterfragt und überdenkt auch die Aussagen von Camus, Marc Aurel, Erich Kästner und zahlreichen anderen großen Denkern der Weltgeschichte.

Das Buch bleibt aber nicht nur bei diesen sehr lesenswerten und immer wieder zum Nachdenken anregenden Überlegungen über den Anstand, zu denen sicherlich jedem Leser direkt Beispiele aus dem eigenen Leben einfallen: Nämlich von Personen, die sich gerade eben nicht anständig verhalten haben. Sei es die Dränglerin an der Supermarktkasse; der Autofahrer, der die Ausfahrt zuparkt und frech wird, wenn man ihn bittet wegzufahren; der Wirtschaftsboss, der Erfolgsprämien in Millionenhöhe kassiert und gleichzeitig Personal entlässt, weil das Unternehmen Verlust macht.

Beispiele gibt es – vielleicht gerade in unserer heutigen Zeit? – sehr viele. Auch die oftmals anonymen Pöbeleien und Beschimpfungen im Internet gehören dazu.

Ausführlich thematisiert wird auch unsere heutige Gesellschaft, wie wir in ihr miteinander auskommen können und welche Rolle der Anstand dabei spielt. Leben wir nicht in einer Zeit großer Vielfalt, aber auch gleichzeitig enormer Verunsicherung?

Tagtäglich sind wir einer Flut an Informationen und dem Kampf um unsere Aufmerksamkeit ausgesetzt, ständig ändert sich unser Umfeld. Die Komplexität des täglichen Lebens und Erlebens hat ein Maß erreicht, das für uns Menschen kaum noch zu verarbeiten ist. Schließlich stammt unser Gehirn noch aus einer Zeit, als kleine Dorfgemeinschaften und ein weitgehend gleichförmiger Tagesablauf üblich waren. Man war sich sicher in dem, was man tat und wie mal lebte. Es gab kaum Veränderungen. Gewiss nicht in dem Maß, wie es heute an der Tagesordnung ist.

Diese Sicherheit fehlt uns. Ist daher die Suche genau danach, nach einem festen Standpunkt in der stetig sich ändernden Welt, nicht eine verständliche Sehnsucht vieler Menschen? Kann diese Sehnsucht vielleicht etwas zur Erklärung beitragen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln? Warum ist die Zahl an Vegetariern und Veganern so hoch? Weshalb haben rechte Gruppierungen in vielen Ländern einen so starken Zulauf? Kann es eventuell mit daran liegen, dass Unsicherheit und Angst vor der stetigen Veränderung Gründe dafür sind? Auch dazu ein Zitat:

„Die Selbstradikalisierung vieler Menschen: Ihre Flucht in einen Hass auf alles Fremde und Ungewohnte; in Ernährungsweisen, von denen man sich am Ende nichts anderes als die Rettung der Welt erhofft; in einen Fitnesswahn, der in die komplette Ich-Fixierung führt;…“ (S. 109)

Abschließende Antworten kann das Buch freilich nicht geben. Das dürfte auch kaum möglich sein. Aber es lohnt sich unbedingt, es zu lesen und den spannenden Schilderungen und Gedankengängen des Autors zu folgen. Dass man dabei wie von selbst einen anderen Blick auf die Welt und durchaus auch auf das eigene Verhalten bekommt, ist ein weiterer wunderbarer Effekt dieses großartigen und wichtigen Buches. Ich hoffe, dass es viele Menschen lesen. Mir hat es ausgesprochen gut gefallen!

Axel Hacke: Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen.
Verlag Antje Kunstmann, August 2017.
192 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Christian Rautmann.

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