Anne Youngson: Das Versprechen, dich zu finden

„Lieber Professor Glob, wir sind uns zwar nie begegnet, aber Sie haben mir einmal ein Buch gewidmet: mir, dreizehn von meinen Klassenkameradinnen und Ihrer Tochter. Das war vor über fünfzig Jahren, als ich jung war.“

So beginnt Anne Youngsons Briefroman „Das Versprechen, dich zu finden“, den Wibke Kuhn einfühlsam übersetzt hat. Nun ist Tina Hopgood, die Schreiberin dieser Zeilen, über 60 und hat vor Kurzem ihre beste Freundin Bella verloren. Mit ihr wollte sie ihr ganzes Leben lang von ihrer Heimat England nach Dänemark reisen, um den Tollund-Mann mit eigenen Augen zu sehen – eine vermutlich über 2000 Jahre alte, perfekt konservierte Leiche, um die es in Professor Globs Buch geht.

Doch diesen Traum konnten die beiden nicht verwirklichen. Nie schien der richtige Zeitpunkt, dafür gekommen zu sein. Nun sitzt Tina auf ihrem Bauernhof in East Anglia und beginnt, über ihr Leben und die verpassten Chancen nachzudenken. Sie schreibt darüber an Professor Glob, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Doch nur wenige Wochen später erhält sie einen Brief vom Kurator des Silkeborg Museums Anders Larsen, der ihr nicht nur mitteilt, dass Professor Glob schon vor einiger Zeit verstorben ist, sondern auch tatsächlich auf ihre Fragen und Gedanken eingeht.

Anders, der Wissenschaftler, sieht die Dinge sehr rational. Für ihn zählen nur die Fakten. Er liest aus Tinas etwas unzusammenhängenden Brief zwei Fragen heraus, die er ihr höflich beantwortet. Tina ist dankbar dafür, aber sie hat auch das Bedürfnis, ihm zu erklären, um was es ihr wirklich geht.

So entwickelt sich ein Briefwechsel, in dem sich die beiden immer mehr öffnen, sich von ihrer Vergangenheit und Gegenwart erzählen, von ihren vergeblichen Hoffnungen und Niederlagen, aber auch von den schönen Erlebnissen und Erfolgen.

Tina liebt Lyrik, Anders Musik, Tina lebt in und mit der Natur, Anders in seiner Museumswelt, auf Tinas Hof ist immer etwas los, Anders lebt alleine in seinem Haus. Einsam sind sie beide manchmal.

Erst durch das Schreiben wird ihnen Vieles bewusst, können sie sich selbst besser verstehen. Sie stärken sich gegenseitig, geben sich Ratschläge und werden langsam immer vertrauter. Ihre Freundschaft lässt den Wunsch nach Veränderung wachsen. Aber ist das mit über 60 noch möglich?

Anne Youngson selbst zeigt, dass es geht, in diesem Alter noch einmal durchzustarten: „Das Versprechen, dich zu finden“ ist der Debütroman der 70-jährigen Autorin, die nach ihrem Renteneintritt kreatives Schreiben studierte und nun ihren Doktor macht.

Ich habe Tina und Anders sofort ins Herz geschlossen. Anne Youngson gelingt es, ihre Protagonisten gleichzeitig fest im Alltag verankert und zerbrechlich zu zeichnen. Sie hoffen und zweifeln, gehen ihrer Arbeit nach und kümmern sich um ihre Familien. Dadurch werden sie zutiefst menschlich, realistisch und berührend.

„Das Versprechen, dich zu finden“, ist für mich eine wunderbare Reflektionen über das Leben, über Achtsamkeit und Bewusstsein. Anders und Tina gehen sehr behutsam miteinander um. Ihnen ist es wichtig, dass sie ihre Briefe gegenseitig sorgfältig lesen und schreiben. Alles was geschehen ist und geschieht – und das ist im Verlauf des Buches nicht wenig – spiegelt sich in ihnen und wirkt dadurch „entschleunigt“. Genau das ist in unserer schnelllebigen Zeit wichtig.

Von diesem Buch können nicht nur über 60-jährige profitieren. Ich möchte es allen wärmstens empfehlen, die darüber nachdenken, ob ihr Leben dem entspricht, was sie sich einmal erträumt und gewünscht haben. Je früher man etwas verändert, umso besser. Oft genügt schon eine Kleinigkeit, zum Bespiel den Schreibtisch umzustellen, wie es Anders einmal tut.

Anne Youngson: Das Versprechen, dich zu finden.
HarperCollins, November 2018.
272 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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