Zora Neale Hurston: Barracoon

Die afroamerikanische Autorin Zora Neale Hurston (1891-1960) war Aktivistin der künstlerischen Bewegung Harlem Renaissance. In der Zeit von 1918 bis 1920 studierte sie an der Howard University in Washington, D.C. 1925 erhielt sie ein Stipendium am Barnard College Anthropologie und studierte zuletzt an der Columbia University.

Im Sommer 1927 erhielt sie den Auftrag, einen Artikel über den letzten amerikanischen Sklaven, Cudjo Lewis, zu schreiben, der zu dieser Zeit häufig interviewt wurde.

1927 war Cudjo Lewis ein einsamer, alter Mann, der noch immer für seine Gemeinde als Küster arbeitete und seinen Garten bestellte. Er lebte in einer fensterlosen Holzhütte. Seine fünf Kinder und Ehefrau waren gewaltsam oder durch eine Krankheit verstorben. Er selbst starb 1935 im Alter von 95 Jahren.

Im Dezember 1927 suchte die Autorin Cudjo Lewis zu weiteren Interviews auf und führte darüber hinaus Feldforschungen in Arbeiter- und Gefangenenlagern fort. (Noch heute kann man im Internet Filmaufnahmen hierüber finden.)

So nach und nach erzählte Lewis über seine Zeit als freier Mensch in Afrika und über die Hintergründe seiner Versklavung: Sein friedliches Leben begann unter dem afrikanischen Namen Kossola 1841 in Benin, Westafrika. Der Süden des Landes grenzt an den Golf von Guinea, wo sich auch der Regierungssitz Cotonou und die Hauptstadt Porto Novo befinden. Zu den angrenzenden Ländern zählen Togo, Burkino Faso und Niger, die durch ihre Kriege und Gewaltexzesse bekannt wurden.

1860 tauchte die Clothilda in der Bucht von Benin und kurz darauf in der Nähe des Hafens von Ouidah auf, um vom König Gezo von Dahomey Sklaven zu erwerben. Foster, der Kapitän, sollte über 110 Sklaven kaufen und heimlich nach Amerika schmuggeln. Denn aus einer bierlaunigen Wette heraus kam Timothy Meaher der Gedanke, trotz gesetzlicher Verbote seine Chance zusammen mit William Foster wahrzunehmen und den amerikanischen Traum zu leben. Hierzu gehörte Landbesitz und viele Sklaven, die alles bewirtschafteten. Routiniert und geschäftstüchtig wurde man sich über den Preis für das schwarze Elfenbein einig.

Allein von der Bucht von Benin aus sollen etwa 444 700 Sklaven verschifft worden sein. Man schätzt, dass in der Zeit von 1801 bis 1866 über 3,8 Millionen Afrikaner an Europäer und Amerikaner verkauft wurden. Die Gier nach Geld trieb in diesem Zusammenhang die Gewalt und Mordraten ins unermessliche. Dass Händler und Käufer sich auch gegenseitig betrügen, darf man der Gier nach noch mehr Geld unterstellen.

Mit Booten wurden die Sklaven vom Hafen zur Clothilda gebracht. Kurz vor dem Ende des Verladens bemerkte der Kapitän ein Signal, das für einen organisierten Hinterhalt sprach. Deshalb beschloss Foster, möglichst schnell in See zu stechen. Auf dem letzten Boot mit der letzten geretteten »Ware«, dem schwarzen Elfenbein, befand sich Kossola, der später den Namen Cudjo Lewis erhielt.

Weil nicht alle Sklaven verladen werden konnten, hatten die Verschleppten im Laderaum mehr Platz als viele andere vor ihnen. Trotzdem waren sie gezwungen, tagelang bei Hunger und Durst dicht bei einander zu liegen. Bewegungsfreiheit und Kopffreiheit gab es nur ab und zu an Deck. Kossolo hatte das Glück, dass sowohl der Kapitän als auch sein Sklavenhalter nicht zu den grausamen Vertretern zählten, die Sklaven misshandelten, verstümmelten oder töteten. Darüber hinaus hatte Kossolo das Glück, nur fünf Jahre als Sklave zu schuften. Nach seiner Befreiung wurde er zum zweiten Mal heimatlos und stand wie alle anderen ehemaligen Sklaven mit leeren Händen in einem fremden Land, in dem seinesgleichen nicht erwünscht waren. Geld für die Heimreise und Entschädigung gab es ebenfalls nicht, obwohl Weaher später für den Schmuggel und Sklavenhandel verurteilt wurde. Die Armut zwang Lewis und die anderen Sklaven von der Weaher Farm, vereint eine neue Heimat zu gründen, die sie Africatown nannten. Bis zu seinem Lebensende blieb Cudjo Lewis/Kossolo dort.

In dem Buch Barracoon hat der Verlag für den interessierten Leser noch eine Fülle an zusätzlichen Texten beigefügt, die über die Hintergründe und Umstände der Autorin und Cudjo Lewis berichten, darunter auch das ausführliche Nachwort von Deborah G. Plant. Der Übersetzer des umsichtigen und tiefgründigen Buches war Hans-Ullrich Möhring.

Der Schriftstellerin Alice Walker ist es zu verdanken, dass Zora Neale Hurston heute noch wahrgenommen wird. Ihr erstes Werk, Barracoon, 1931 fertiggestellt, wurde 2018 erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt.

Der Kreis der vielen Wunder und Zufälle schließt sich hier.

Zora Neale Hurston: Barracoon.
Penguin Verlag, Februar 2020.
224 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.