Volker Kutscher: Marlow, gelesen von David Nathan

Im 7. Band um den Kölner Kommissar Gereon Rath, den es nach Berlin verschlagen hat, befinden wir uns mitlerweile im Jahr 1935. Die Nazis sitzen fest im Sattel und versuchen, das Schmuddelimage der ersten Kampfjahre vergessen zu machen. Ebenso wie der Unterweltboss Johann Marlow, der zukünftig nur noch legale Geschäfte betreiben will und sogar in die SS eingetreten ist. Und wie Gereon Rath, der nie wieder etwas mit Johann Marlow und seinem chinesischen Fahrer Lian etwas zu tun haben möchte.

Ein eigentlich simpler Verkehrsunfall bringt sie alle wieder zusammen. Ein Taxifahrer fährt mit Vollgas gegen die Wand, mit ihm stirbt ein Fahrgast. Rath ist zunächst leicht empört, dass die Verkehrspolizei die Kriminalpolizei hinzuzieht, aber irgendwie haben sie ja recht. Es IST misstrauenerweckend, dass der Fahrer nicht einmal versuchte zu bremsen, sondern im Gegenteil noch beschleunigt hat. Er selbst überbringt der Witwe die Todesnachricht und findet eine verzweifelte Frau mit Kindern in ärmlichen Verhältnissen. Umso erstaunlicher, dass die gleiche Witwe keine paar Tage später umgezogen ist ein Haus, das sich Rath kaum leisten könnte. Aufgesucht hatte er sie, weil der Gerichtsmediziner bei dem Taxifahrer einen unheilbaren Gehirntumor festgestellt hatte, dessen Bezeichnung Rath an etwas erinnert …

1935 kann auch ein Gereon Rath die Nazis nicht mehr als nur lästig abtun, auch wenn es ihm nach wie vor schwerfällt, sie ernst zu nehmen. Sehr schön beschrieben von Volker Kutscher, wie er sich dem Nürnberger Reichsparteitag trotzdem von der Menge mitreißen lässt und von sich selbst angewidert ist. Was hat ihn überhaupt nach Nürnberg gebracht? Zum einen ist sein Pflegesohn Fritz – inzwischen überzeugtes HJ-Mitglied – mit der HJ zu Fuß von Berlin nach Nürnberg marschiert und dessen Anwesenheit dort gibt Rath die notwendige Ausrede für die Reise. Hauptsächlich war aber der getötete Fahrgast aus der Nähe von Nürnberg und da gibt es noch so einiges zu ermitteln.

Es geht um die Vergangenheit in diesem 7. Band der Rath-Serie, aber dieses Mal nicht um Gereons, sondern eher um Charlies und ganz besonders um Marlows und Lians. Wie immer verschweigen sich Charly und Gereon das meiste, obwohl miteinander reden ihr Leben deutlich leichter gemacht hätte. Politisch bringt Volker Kutscher das Spannungsfeld der Zeit gut durch die Gegensätze Charly (informiert, sie hasst es, dass Fritz sich so in der HJ engagiert) und Rath (politisch träge) zum Ausdruck. Überhaupt ist das beste an diesen Roman das Zeitkolorit, denn Kutscher ist einer der Autoren, die es schaffen, dass ihre Protagonisten wirklich noch nicht wissen, was später kam. Man taucht in dieses Hörbuch ein, getragen durch die Stimme von David Nathan, der nicht eine Sekunde Langeweile aufkommen lässt. In den ersten Romanen hat mir besonders gut gefallen, dass es eben NICHT um den Nationalsozialismus ging. 1935 kommt man daran natürlich nicht mehr vorbei und diesmal hat Volker Kutscher dann auch in die Vollen gegriffen und Marlow und Göring zusammengebracht – und wieder auseinander. Trotzdem und auch trotz des Reichsparteitags gelingt es ihm auch hier, zu vermitteln, dass die Menschen dieser Zeit auch noch ein Leben hatten, das mit Politik wenig zu tun hatte.

Eine Warnung vorab für die Neulinge im Rath-Universum. Die Serie Babylon Berlin handelt von Kommissar Rath im Berlin der Dreissiger Jahre. Mit den Büchern hat sie aber sonst nur wenig zu tun. Die Charaktere heißen gleich, sind aber völlig anders angelegt. Beides vermittelt Zeitkolorit, aber mit anderer Ausrichtung.

Volker Kutscher: Marlow, gelesen von David Nathan.
OSTERWOLDaudio, Oktober 2018.
2 CDs, Gekürzte Fassung, 13 Stunden und 42 Minuten.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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