Zerplatzte Träume, zerschlagene Ideologien, zerflossene Liebschaften: Der in Ostberlin geborene Erfolgsautor Torsten Schulz lässt seine Protagonisten bereits vor der Wende durch diverse Katastrophen taumeln. Manchmal sprichwörtlich: Lothar Ihm spricht außerordentlich dem Alkohol zu. Seit er vom Baugeländer gestürzt und berufsunfähig geworden ist, sitzt er mit Mitte Dreißig den lieben langen Tag zuhause bei Mutter herum und säuft sich vom Bier zum Wurzelpeter hoch. Gesellschaft leisten ihm seine Kumpels „Blutblase“ und „Krücke“. Beide ebenfalls nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens verortet. Höhepunkt ihres frauen- und freudlosen Daseins ist das Anhören von Rockmusik-Alben, illegal über den Westen eingeschmuggelt. Dabei hatten die Vorfahren des „Ihmsche“ durchaus hehre Ziele: Sie suchten nach Erdöl, wollten dem Führer Bodenschätze liefern und noch schnell einen wackeren Soldaten zeugen. Zu diesem hat sich Ihmsche nicht entwickelt. Witzig, doppelbödig und hintergründig schlägt Torsten Schulz in seinem neuesten Roman die Brücke von Makrokosmos der Politik zum Mikrokosmos des Dorfes Beutenberge und seinen Bewohnern. Ein Symbol taucht dabei immer wieder auf: die Bienen!
Lothar Ihm hat Probleme. Zum einen gelingt es ihm nicht, sich räumlich von seiner Mutter zu trennen. Zum anderen schafft er es nicht, sich zu einer beruflichen Tätigkeit aufzuraffen. And last but not least: Lothar Ihm hat Angst vor Frauen. Ganz besonders vor der riesigen, toughen Agnes, die ein Auge auf ihn geworfen hat und ihre Liebesansprüche dominant durchzusetzen gedenkt. Vor Jahren hatten sie sich auf der Arbeit kennengelernt, bis sich Ihmsche versetzen ließ, da er von ihren Avancen flüchten wollte. Doch nach dem Tod der Mutter geben ihre besten Freundinnen – Tante Nickel und Elfriede Schrebnitz – heimlich eine Heiratsannonce für den Ihmsche auf. Nun steht dummerweise nicht nur Agnes vor der Tür, sondern ein ganzer Schwarm liebestoller Heiratskandidatinnen. Die drei Dauersingles sind rundweg überfordert. Eifersucht, Begehren, Panik: Sie taumeln von einem Gefühlschaos ins Nächste.
Dabei sind Gefühle nicht ihre Stärke. Alle drei sind ohne Vater aufgewachsen. Ihmsches Vater ist, nachdem sich der Erdölboom nicht bewahrheiten sollte, mit Schimpf und Schande an der Ostfront gestorben. Alle drei haben Angst vor Nähe, insbesondere weiblicher Nähe. Alle drei wissen in der Theorie große Reden zu schwingen, versagen aber in der Praxis. Zum Beispiel als es darum geht, den im Haus ansässigen Bienenstock zu zerstören. Dabei erfüllen die Bienen neben dem Bestäuben noch eine wichtige Aufgabe: Sie öffnen dem Ihmsche die Augen und zeigen ihm, was wirklich in seinem Leben fehlt!
Erdöl, Bienen, Staat und Frauen, Ost- und Westmythen: Auf ganz subtile Weise baut der vielfach ausgezeichnete Autor Torsten Schulz in seinem neuesten Werk subtile Botschaften unter dem Deckmantel des Humors ein. Denn dank seiner skurrilen, liebenswert ausgearbeiteten Charaktere, wirken diese niemals schwer oder belehrend. Am Ende streift der Autor sogar den fantastischen Bereich, lässt die Liebesgeschichte ungewöhnlich enden. Auch wenn nicht jedem Protagonisten ein Happy End vergönnt ist: Im Vergleich zum Schicksal der Drohnen, der männlichen Bienen, scheint das Dasein der drei dem Alkohol und Rockmusik zugeneigten Singles weit weniger beklagenswert.
Torsten Schulz: Öl und Bienen.
Klett-Cotta, Februar 2022.
224 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.