Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison (Jahrgang 1931) hat sich ihr Leben lang mit den Themen Rasse und Rassismus beschäftigt. In ihrem literarischen Werk beschreibt sie das Leben und Schicksal afroamerikanischer Menschen, insbesondere von Frauen in den Vereinigten Staaten von Amerika. In dem Roman „Gott, hilf dem Kind“, 2017 bei Rowohlt auf Deutsch erschienen, spielte die Hautfarbe der Hauptfigur eine große Rolle.
2016 hielt Toni Morrison eine Vortragsreihe an der Harvard University in Cambridge über „Die Literatur der Zugehörigkeit“. Im März 2018 veröffentlichte der Rowohlt Verlag sechs Texte aus diesen Vorlesungen unter dem Titel „Die Herkunft der anderen – Über Rasse, Rassismus und Literatur“ in einer Übersetzung von Thomas Piltz. Darin nähert sich Toni Morrison von verschiedenen Seiten den Themen Rasse und Rassismus und ihrer Rolle in der Literatur bzw. für die Literatur.
In „Romantisierte Sklaverei“ beschreibt sie den Nutzen einer Unterscheidung nach Hautfarbe für den Erhalt von Macht und die Legitimierung von Unterdrückung. Und wie Literatur einen Beitrag zur Romantisierung der Sklaverei leistet (Beispiel: „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe, 1852). „Amerikanisch zu sein“, bedeutet auch heute noch „weiß zu sein“.
„Fremd sein oder fremd werden“ zeigt auf, dass fremd sein erst einmal eine Möglichkeit zur Abgrenzung, zur Unterscheidung ist. Aber Rasse wird missbraucht, um dadurch eine Hierarchie, einen Rang abzuleiten und dabei ist klar, dass Weiß besser ist als Schwarz. Schon Kinder werden zu Rassisten erzogen.
Morrison zitiert Selbstberichte von Sklavinnen und Sklaven, in denen die Gewalt, der Sadismus und die Unmenschlichkeit der Weißen drastisch zum Ausdruck kommen. Sind Angst und Unsicherheit bezogen auf das eigene Selbstbild ein legitimer Grund für eine Abgrenzung gegenüber dem Fremden durch Gewalt? Und unterstützen nicht auch Medien, Bilder und Sprache Fremdheit statt Gemeinsamkeit?
In „Fetisch Farbe“ geht es um die These ob die Hautfarbe zur Charakterisierung eines Menschen notwendig oder überflüssig ist. In „Gott, hilf dem Kind“ hat Morrison die Hautfarbe „Schwarz“ zum „Fluch“ und zum „Segen“, zum „Hammer“ und zum „goldenen Ring“ gleichzeitig gemacht und ihre männliche Hauptfigur Booker sagen lassen:
„Es ist nur eine Farbe“, hatte Booker gesagt. „Ein genetisches Merkmal – kein Makel, kein Fluch, kein Segen und auch keine Sünde… Wissenschaftlich betrachtet gibt es so was wie Rasse gar nicht, Bride, und ohne Rasse ist Rassismus nichts anderes als eine Wahl, die jemand trifft.“ (S. 165).
„Was bedeutet ‚schwarz‘?“ führt von den Schwarzensiedlungen aus dem Jahr 1862 mit ihrer eigenen „Reinheitsideologie“ zu den Übergriffen und der Gewalt gegenüber Schwarzen in den Vereinigten Staaten von Amerika im 20. Jahrhundert. Dazu zitiert Morrison ausführlich aus ihrem Roman „Paradies“ (2001).
„Vom Anderssein erzählen“ zeigt die Chance oder die Hoffnung darauf, dass durch Literatur Empathie für das Fremde, Andersartige erzeugt werden kann.
Im letzten Text „Die Heimat der Fremden“ spannt Toni Morrison den Bogen vom Sklavenhandel des 19. Jahrhunderts hin zu Flucht, Vertreibung und Migration unserer Tage. Und schließt den Text mit einem Zitat aus dem Buch „Der Blick des Königs“ von Camara Layes aus dem Jahre 1954, in dem es um die Erfüllung des Wunsches aller Menschen nach Menschlichkeit und Zugehörigkeit geht.
Der US-amerikanische Journalist Ta-Nehisi Coates liefert im Vorwort eine Einordnung von Morrisons Texten in die Debatte um Rasse und Rassismus und schreibt:
„Wenn wir begreifen wollen, warum wir einmal mehr am Anfang stehen, können wir uns an Toni Morrison halten, eine der wichtigsten Schriftstellerinnen und Denkerinnen, die dieses Land hervorgebracht hat.“ (S. 14).
Die Texte von Toni Morrison geben Denkanstöße. Lösungen bietet sie nicht an. Aber sie sorgt dafür, dass ein Scheinwerfer auf Rassendiskriminierung, Rassismus und Gewalt gerichtet bleibt. Und das scheint mir dieser Tage wichtiger denn je.
Toni Morrison: Die Herkunft der anderen: Über Rasse, Rassismus und Literatur.
Rowohlt, März 2018.
112 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.