Titus Müller: Der letzte Auftrag

Im dritten und letzten Band der Spionage-Reihe um Ria Nachtmann geht es im Roman „Der letzte Auftrag“ von Titus Müller gar nicht so sehr um Ria selbst, die ja im letzten Band in die BRD fliehen musste und jetzt mit ihrer großen Liebe in Berlin lebt. Es geht vielmehr um ihre Tochter Annie, die als Kinderkrankenschwester in der DDR die Wiedervereinigung und ihre Vorboten erlebt.

Sie ist unzufrieden mit den Vorgängen im Krankenhaus, ihrer Meinung nach wird nicht genug für die Frühgeburten getan und nach ihrer Ansicht ist Kinderversorgen mehr als Füttern und Wickeln. Damit macht sie sich so unbeliebt, dass sie versetzt wird. Später kommt sie mit einer Gruppe von Regimekritikern in Kontakt und beginnt das Wahlsystem zu hinterfragen, gemeinsam mit einem Jugendfreund will sie eine Doku über die Zustände der DDR drehen. Aber der Leser lernt nicht nur Annie kennen, sondern auch Stasimitarbeiter, BND-Beamte und KGB-Offiziere – Putin spielt eine nicht unerhebliche Rolle – , sowie einfache Bürger der DDR, die nichts als ihre Arbeit machen und trotzdem entweder für das Regime arbeiten oder mit ihm Zusammenrasseln.

Wir sind inzwischen im Jahr 1989 und der Leser erlebt mit, wie verwirrend die Ereignisse damals für alle waren. Da die Geschehnisse sich zu jener Zeit überschlagen haben, stehen hier sehr oft die Ereignisse im Vordergrund, weniger die Personen. Titus Müller schafft es aber trotzdem, dem Leser die Protagonisten einigermaßen nahe zu bringen, aber nicht so gut, wie in den Vorgängerbänden. Zu sehr werden sie mitgerissen von dem, was um sie herum geschieht. Der Roman ist ein Stück Zeitgeschichte aus einer Zeit, die viele von uns noch miterlebt haben.

Irreführende Informationen im Umlauf

Ich denke, jeder weiß, wo er zu der Zeit war, als die Grenzen plötzlich offen waren. Umso interessanter war es, hier eine Schilderung aus der Sicht der Beteiligten und Betroffenen zu haben. Zum Teil waren irreführende Informationen im Umlauf, die Beamten selbst wussten nicht immer, was vorging, und ob das, was gestern noch richtig war, heute wirklich falsch ist. Einfache Bürger saßen Falschinformationen über Züge, die fahren oder nicht fahren, auf und machten sich oft vergeblich auf Wege oder blieben zu Hause, weil sie es nicht glauben konnten.

Stellenweise war der Roman selbst verwirrend, aber immer spannend und erhellend. Bezeichnend fand ich, dass Titus Müller, der aus Dresden stammt und 1989 12 Jahre alt gewesen sein muss (und natürlich recherchiert hat), die Ereignisabfolge ganz anders beschreibt, als ich (damals 22 Jahre, im tiefen Westen) sie in Erinnerung habe. Für mich war das ein Ereignis, das eines Abends im Radio kam und dann waren die Grenzen offen und wir haben DDR-Bürger in THW-Heimen untergebracht.

Und vorher gab es noch die „Wir sind das Volk“-Demonstrationen, die für die Medien aber jetzt erst interessant wurden. Mir erschien das immer wie ein Ereignis, aber das war es wohl nicht. Der Wille zum Widerstand wuchs Stück für Stück und selbst als in Berlin die Mauer fiel, war noch nicht an jedem Grenzübergang klar, wie man sich jetzt verhalten sollte. Als die DDR-Bürger aus der Botschaft in Budapest in den Westen gefahren wurden, geschah das mitten durch DDR-Gebiet, in einem Zug, von dem scheinbar jeder Wissen konnte. Was für eine letzte Machtdemonstration des Regimes.

Fazit: Lesenswertes Stück Geschichte, an das sich die Meisten von uns noch irgendwie erinnern.

Titus Müller: Der letzte Auftrag
Heyne, Mai 2023
400 Seiten, Paperback, 16 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.