Ein Buch, das nicht mit tränenrührenden Bildern, mit erschütternden Dramen aufwühlt, sondern gerade dank einer professionellen Distanz mit klaren Worten und ohne jede Sensationslust die Geschichten von Frauen auf der Flucht erzählt.
Gerade diese sachliche Art des Erzählens, die Art, den Frauen ihre Stimmen zu lassen und sie ihre Berichte in ihre Worte fassen zu lassen, machen dieses Buch so lesenswert.
Vor allem Frauen leiden auf der Flucht besonders, sie sind besonderen Gefahren ausgesetzt, besonderen Risiken und müssen dabei oft noch zusätzlich mehrere kleine Kinder betreuen. Dennoch kommen diese Frauen in den Berichten über Flucht viel zu wenig vor, bekommen viel zu wenig Gehör. Dem setzt Tina Ackermann nun ihr Buch entgegen.
Die Schweizer Autorin hat als Werbetexterin und Drehbuchautorin gearbeitet. Als sie für eine Hilfsorganisation als Campaignerin tätig war, kam sie in Kontakt mit Frauen auf der Flucht. Daraus entstand die Idee zu diesem Buch. Dabei war es ihr wichtig, die Frauen nicht zu beeinflussen, während sie erzählten. Sie stellte wenig Fragen, wenn die Frauen anonym bleiben wollten, war auch das kein Problem, ebenso, wenn sie nicht fotografiert werden wollten.
Entstanden ist eine Sammlung von erschütternden Lebensgeschichten. Das eigentlich Erschütternde waren für mich nicht oder nicht vorrangig die Erlebnisse auf der Flucht, sondern das, was der Flucht vorausging. Die Schicksale, die die Frauen erleiden mussten, die Gründe, die sie schließlich in die Flucht trieben, sind ebenso grausam wie vielfältig.
Da ist die junge Frau aus Afghanistan, die ihrer schrecklichen Ehe entfliehen will, da ist die Iranerin, die vor einer arrangierten Ehe mit einem völlig Fremden flieht. Und da sind die jungen Ukrainerinnen, die ihre Kinder vor den Bomben Russlands beschützen wollen.
Es gibt die Berichte von Frauen aus Somalia, aus dem Libanon, aus Tibet oder Usbekistan. Dazwischen kurze Erzählungen von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen. In allen diesen Einzelgeschichten wird auch der Umgang mit den geflüchteten Frauen in den Lagern in der EU klar und deutlich geschildert, den Repressalien, den Gefahren, denen sie nach der Flucht noch lange nicht entkommen sind.
Es sind viele ganz unterschiedliche Leben, unterschiedliche Schicksale. Aber diese Berichte geben den Frauen ein Gesicht, machen aus der unmenschlichen Zahl Geflüchteter einzelne Menschen. „ […] dass das Festhalten der Geschichten geflüchteter Menschen zu deren Reindividualisierung führe. Ziel dieses Buches ist es, zum Verständnis beizutragen, dass sich hinter den enormen Flüchtlingszahlen lauter einzelne Schicksale verbergen.“ (S. 12).
Tina Ackermann: Frauen auf der Flucht.
Rotpunktverlag, Oktober 2022.
248 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.