Terézia Mora: Muna oder Die Hälfte des Lebens

Terézia Mora erhielt 2013 für ihren Roman „Das Ungeheuer“ den Deutschen Buchpreis. In diesem Jahr ist sie mit „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ wieder nominiert. Der Deutsche Buchpreis wird am 16. Oktober 2023 zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse verliehen. Der Roman ist am 30. August 2023 im Luchterhand Literaturverlag erschienen.

Muna Appelius ist gerade achtzehn geworden, da versucht ihre alkoholabhängige Mutter, Schauspielerin am Theater der Stadt Jüris in der DDR, sich mit Tabletten und Alkohol das Leben zu nehmen. Munas Vater starb an Lungenkrebs als sie ein Kind war. Die Mutter überlebt und macht eine Therapie. Es ist 1989 und Muna steht kurz vor dem Abitur.

Muna und die Liebe ihres Lebens

Als Praktikantin eines Zeitungsmagazins lernt sie den Fotografen und Französischlehrer Magnus Otto kennen und verliebt sich in ihn, „den schönsten Mann, den ich je im Leben sehen würde.“ Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht, fährt Magnus nach Budapest und verschwindet von da aus in den Westen. Muna geht zum Studium nach Berlin, sie schreibt Magnus Briefe, die sie nicht abschickt (wohin auch?). Die Mauer fällt. Muna erhält Stipendien für Studienaufenthalte in London und Wien. Sie arbeitet als Au-Pair, als Kellnerin, macht Projektarbeit und jobbt in einem Verlag. Sie will promovieren.

Dann sieht sie Magnus nach sieben Jahren bei einer Theateraufführung in Berlin wieder. Sie schlafen miteinander. Muna begleitet ihn nach Island, nach Frankreich und verstrickt sich immer tiefer in ihre Liebe zu Magnus. Muna folgt ihm nach Basel. Magnus verhält sich kalt, er verletzt Muna psychisch und physisch. Doch Muna bleibt, versucht sich anzupassen, es ihm recht zu machen. Am Ende geht er nach Kanada und lässt sie allein. Muna bricht zusammen. Fortan sucht sie im Internet nach Magnus. Nach einer Brustkrebserkrankung steigt sie in eine Buchhandlung in Berlin ein. Und schreibt Erzählungen. Auf dem Sommerfest der Buchhandlung begegnen sich Muna und Magnus noch einmal. Das Treffen endet tragisch.

Muna und die Hälfte ihres Lebens

Terézia Mora ist eine gute Erzählerin. Die Geschichte von Muna und ihrer Liebe zu Magnus ist bewegend, aufregend und bitter. Als Lesende gerate ich in den Sog der 21 Kapitel: Seite um Seite lese ich, wie sich die große Verliebtheit eines jungen Mädchens in einen älteren Mann zu einem Abhängigkeitsverhältnis mit körperlicher und emotionaler Gewalt entwickelt, das langsam, sukzessive die Persönlichkeit der Protagonistin untergräbt. Das ist schwer auszuhalten. Zumal Terézia Mora ihre Muna als intelligente, neugierige, junge Frau anlegt. Aber bei Männern verlässt Muna ihr Gespür für das, was ihr gut tut. Magnus hingegen stattet Mora karg aus. Sein Handeln zeigt den Charakter.

Mühelos integriert Mora Zeitgeschichte in ihren Text: den Fall der Mauer, die neue (Reise-) Freiheit der Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR, den Verlust von Heimat, die prekären Arbeitsbedingungen in der europäischen Kunst- und Kulturszene.

Sie streicht Sätze oder Wörter im Text durch. Das macht die Gedanken der Hauptfigur durchsichtig und beinahe real. Sie macht Muna zur Ich-Erzählerin. Näher kann ich der Figur nicht kommen. Sie wechselt die Perspektive nur, wenn es unerträglich zu werden droht, wie auf S. 332 als Muna durchdreht.

Terézia Moras Geschichte ist so authentisch wie eindrücklich. Als Lesende möchte man ihre Muna warnen, aber man ahnt auch, dass es nichts nützen wird. Sie stürzt sich in die Liebe, wie sie sich ins Leben stürzt. Unaufhaltsam. Und nachdem sie die eine Hälfte des Lebens ihrer großen Liebe geopfert hat, bleibt Muna immerhin noch die andere Hälfte übrig.

Muna ist so echt, dass es wehtut

Terézia Mora hat mit „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ ein beeindruckendes Frauenschicksal („Die weibliche Variante“ wie es im Untertitel zu dem Roman heißt) in einer katastrophalen Liebesbeziehung beschrieben, so echt, das es wehtut beim Lesen.

Terézia Mora: Muna oder Die Hälfte des Lebens.
Luchterhand Literaturverlag, 30. August 2023.
448 Seiten, Gebunden, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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