In Tanja Kinkels neuestem Roman geht es um den deutschen Herbst. Kein wirklich historisches Thema diesmal also, dazu ist zu wenig Zeit vergangen, aber ein Thema aus der Zeitgeschichte. Es geht aber auch um die Gegenwart, um die Folgen von Taten und um die Veränderung von Ansichten.
Martina Müller – ein fiktiver Charakter – war aktives Mitglied der RAF. Sie wurde verurteilt, am Mord eines Politikers – ebenfalls fiktiv, aber schon sehr nah an der Geschichte – beteiligt gewesen zu sein. Sie hat geschwiegen. Sie haben alle geschwiegen. Martina hat einTochter, Angelika. In der Hochphase des deutschen Herbsts ließ sie sie zurück und ging in den Untergrund, dann ins Gefängnis. Das Verhältnis ist gestört, Angelika fühlte sich im Stich gelassen und wollte wohl auch mit der „Mördermutter“ nichts mehr zu tun haben. Seitdem sind viele Jahre ins Land gegangen. Martina wird 1998 aus dem Gefängnis entlassen. Das geht durch die Presse und lässt bei einigen Menschen vergangenes wieder aktuell werden.
Ein Staatssekretär wurde ermordet, er hatte einen Sohn. Aber er hatte auch einen Chaffeur, und auch der hatte einen Sohn, der bis heute nicht begreifen kann, was geschehen ist. Der bis heute Antworten möchte. Der glaubt, Martina über Angelika vielleicht jetzt zum reden bringen zu können.
Einer der Leibwächter hat überlebt, kann sich aber an nichts erinnern. Auch er wüsste gerne, was genau damals geschehen ist.
Der Roman erzählt in mehreren Zeitebenen. Er erzählt – ganz zum Schluß – die Geschichte der Hinrichtung. Er erzählt aber auch Martinas Geschichte, wie sie von einer unbedarften, aber politisch interessierten Studentin zur RAF-Aktivistin wurde und wie sie ihre Freunde mit reingezogen hat. Es wird erzählt, welche Rolle die Stasi hatte. Und es wird natürlich erzählt, was für Auswirkungen das alles für die folgende Generation hatte. Es ist ein Roman über Schuld und über Taten. Aber Versehen und Folgen. Über Erinnern und Glauben.
Obwohl es eine rein fiktive Geschichte ist, ist sie gut recherchiert und eignet sich sicherlich für den Einstieg in das Thema: Terror und Folgen, deutscher Herbst.
Tanja Kinkel: Schlaf der Vernunft.
Droemer, November 2015.
448 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.