Stefan Mosters Protagonist, ein fünfzigjähriger erfolgreicher Software-Entwickler, der Erfinder der Cloud, begibt sich auf Spurensuche in die Vergangenheit. Das Leben seines Großvaters Jakob Flieder, der Pflasterer in seiner Heimatstadt Mainz gewesen war, beschäftigt ihn. Vor dem elterlichen Haus hatte er einen kunstvoll gemusterten Weg mit kleinformatigen Steinen gestaltet, über den der Erzähler als Kind immer gelaufen war. Auch das Holzpflaster in der Großen Bleiche in seiner Heimatstadt, das später, während der Bombardierungen im Krieg in Flammen aufgegangen war und vielen Menschen das Leben gekostet hatte, soll er gelegt haben. Aus Erzählungen seiner Mutter hat er weiter erfahren, dass der Großvater sehr jähzornig gewesen sein soll und nur durch einen glücklichen Umstand seine Frau nicht getötet hatte.
Der Erzähler überlegt, ob wirklich alles so gewesen war und fragt sich, was letztlich vom Leben des Großvaters nach vielen Jahren seit seinem Tod übrig geblieben ist. Sind es nur noch die Erinnerungen und sind diese Erinnerungen real oder entspringen sie teilweise seiner Phantasie? Auch sein eigenes Leben hinterfragt der Erzähler. Er, der so einsam wie erfolgreich ist und wochenlang Verkaufsstrategien entwirft, oft pausenlos telefoniert und mailt, beruflich viel reisen muss, spürt zwar, dass er in seiner Firma zu etwas Elementarem beiträgt, aber alles ist schnell vergänglich, nichts von alledem wird man später noch mit seiner Person in Verbindung bringen, nichts davon hat Bestand. Dabei wünscht er sich so sehr, dass nach seinem Tod vielleicht ein Enkel etwas über ihn in sein Tagebuch schreibt. Dagegen erscheint ihm die Pflasterertätigkeit die sein Großvater ausgeübt hat, die Wege, die er mit Pflastersteinen ausgelegt hat, weitaus sinnvoller – bleiben die Pflaster mit ihren Mustern doch viel länger sichtbar, greifbar, für die Nachwelt erhalten.
Ein Therapeut soll ihm bei der Suche nach der Sinnfrage helfen. Dreimal in der Woche geben nun die Therapiesitzungen seinem Leben den Takt vor.
Sein Bedürfnis, über die Symptome zu sprechen, wegen denen er ursprünglich gekommen war, wird größer, aber von Mal zu Mal wird er nach den Sitzungen unzufriedener, weil der Therapeut ihn nicht befragt, sondern so lange wartet, bis er sich öffnet und von selbst zu reden beginnt, was ihm sehr schwerfällt.
Als er sich eines Morgens verspätet und länger als sonst zu Hause ist, begegnet er seiner litauischen Putzfrau Neringa, die sich in seiner Wohnung besser auszukennen scheint als er selbst. Er ist verwundert über die Selbstverständlichkeit, mit der sie seine Unordnung beseitigt und über die Selbstverständlichkeit und Geschmeidigkeit mit der sie sich durch seine Wohnung und durchs Leben bewegt.
Durch Neringa, die das Leben von einer ganz anderen Seite betrachtet, lernt er vieles anders, besser zu verstehen. Zusammen mit Neringa fährt er nach Mont St. Michel, wo auch sein Großvater als Soldat schon einmal gewesen war. Er sucht nach Spuren Jakob Flieders während dessen Soldatenzeit und recherchiert, ob sein Großvater und dessen Vater wirklich einst das Holzpflaster in der Großen Bleiche verlegt hatten.
Am Ende muss er zu seiner Enttäuschung feststellen, dass er sich über die Vergangenheit und das Leben seiner Vorfahren wohl vieles so zusammengereimt hat, wie er es gerne sehen wollte.
Neringa lehrt ihn, dass auch in den Legenden, die man sich über seine Vorfahren erdenkt, etwas Gutes liegt. Sie zeigt auf, worauf es ankommt im Leben und letztlich findet er durch Neringa zu sich selbst.
Einmal mehr beweist Stefan Moster mit diesem Roman, dass er ein ausdrucksstarker, fesselnder Erzähler mit klaren, tragenden Sätzen ist.
Stefan Moster: Neringa: oder Die andere Art der Heimkehr.
Mare Verlag, Februar 2016.
288 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.