Rory Power: Wilder Girls

Seit fast zwei Jahren steht das Mädcheninternat von Raxter unter Quarantäne. Die Schülerinnen dürfen das Gelände nicht verlassen und haben keinen Kontakt zu ihren Eltern oder der Außenwelt in irgendeiner Form. Dass das Internat auf einer kleinen Insel liegt, unterstützt die Hoffnungslosigkeit und wie vom Rest der Welt vergessen, müssen sie um ihr Leben kämpfen: Eine unbekannte Seuche hat sie alle befallen und tötet in regelmäßigen Krankheitsschüben Lehrerinnen wie Schülerinnen. Versorgt werden sie von der Marine, die Essen in Paketen liefert – ans andere Ende der Insel und ohne Kontakt aufzunehmen – dieses ist aber stets verdorben und nie genug für alle. Nur das Versprechen, an einem Heilmittel zu forschen, erhält die Mädchen auf Raxter am Leben.

Unter ihnen sind Hetty und Byatt, zwei beste Freundinnen und Reese, die dritte in der Gruppe, in die Hetty heimlich verliebt ist, die aber immer kalt und distanziert bleibt. Doch als Byatt nach einem Anfall aus der Krankenstation verschwindet, müssen Hetty und Reese zusammenarbeiten, um herauszufinden, was mit ihrer Freundin geschehen ist. Wie konnte sie aus dem Schulgebäude fortgeschafft werden? Warum? Und mit wem hat Hetty die letzte verbleibende Lehrerin über Funk sprechen hören, obwohl alle Verbindungen gekappt wurden? Die Suche nach Byatt hilft Hetty und Reese eine grausame Wahrheit zu begreifen.

Es lässt sich nicht abstreiten, dass dieses Buch spannend ist. Mit seiner rohen Brutalität zieht es den Leser in seinen Bann und lässt sich schnell und atemlos weglesen. Allerdings fehlt die große Offenbarung. Mit jeder Seite hofft man darauf und am Ende ist man nur minimal schlauer als vorher. Leser, die von genauen Beschreibungen von Wunden und Körpermutationen fasziniert sind und sich von diesem Horror unterhalten sehen, sollen „Wilder Girls“ auf jeden Fall lesen, es ist gut, spannend und sehr authentisch geschrieben. Ich persönlich finde die Brutalität in diesem Romanen aber ein wenig flach, da keine atemraubende Idee dahintersteht. Von einer dystopischen Geschichte erhoffe ich mir mehr – wenn alles auf die Auflösung zuläuft, sollte es auch eine Auflösung geben, die mehr kann, als zu enttäuschen. Am Ende gibt es zu viele Ungereimtheiten, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, um Spoiler zu vermeiden; zu viele Fragen und zu wenig Dramatik für eine Geschichte, die darauf ausgelegt ist, den Leser zu schockieren. Warum hat das Militär die Mädchen nur mit vergammelter Nahrung versorgt? Warum passiert die Suche nach dem Heilmittel so halbherzig, dass nicht einmal die offensichtliche Ursache behandelt wird? Warum unterliegt das Projekt strengster Geheimhaltung, sogar so sehr, dass ohne Bedenken alle Schülerinnen geopfert werden könnten, um Spuren zu verwischen? All diese wirklich spannenden Ansätze werden in der Luft hängen gelassen – nicht mal, sie werden am Ende des Buches nicht einmal wahrgenommen, als sei es nicht das, was der Leser hofft, mit der Lektüre herauszufinden.

Ich habe „Wilder Girls“ bis zum Ende wirklich gerne und in zwei Tagen weggelesen und wäre die Auflösung nicht so enttäuschend gewesen, hätte es eine großartige Rezension erhalten. Leser, für die die Idee hinter einer Horrorstory weniger zentrale Bedeutung trägt, werden auf jeden Fall ihre Freude damit haben.

Rory Power: Wilder Girls.
Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Bottlinger.
Piper, September 2022.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Isabella M. Banger.

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