Pankaj Mishra: Freundliche Fanatiker

„Man muss seine Feinde kennen, um sie besiegen zu können.“, sagte einst der chinesische General und Philisoph Sunzi. Zumindest auf der argumentativen Ebene erweist sich das Buch von Pankaj Mishra als gute Hilfe.

Als „freundliche Fanatiker“ bezeichnet der indische Autor die Ideologen des Neoliberalismus. Er beschreibt, wie sie den ideellen Unterbau des auf Freihandel und Gewinnmaximierung ausgerichteten Prinzips der Ökonomisierung und Globalisierung fast aller Lebensbereiche erdachten/erdenken und verbreiten. Selbst weitgehend im Hintergrund – ich kannte zugegebenermaßen kaum einen der genannten Autoren – liefern sie Politikern und Wirtschaftsvertretern die Argumente. Die Ideologie des Liberalismus wird als ultimative Lösung für die Menschheit dargestellt, sie beanspruchen die Deutungshoheit über unsere Wahrnehmung. Was nicht passt, wird weggelassen oder bis zur Unkenntlichkeit relativiert, Ungleichheit und Ausbeutung werden höchstens am Rande erwähnt und beschönigt.

Das Buch enthält Essays aus den Jahren 2011 bis 2020. Der Autor setzt sich mit den gängigen Narrativen westlicher Überheblichkeit auseinander, mit dem „Wir sind die Guten, also dürfen wir alles.“ Er ergänzt die weggelassenen, weil störenden Fakten. Er zeigt an vielen Beispielen, dass zwischen Demokratie und dem Liberalismus westlicher Prägung keineswegs ein zwingender Zusammenhang besteht. Im Gegenteil, diese freundlichen Fanatiker sind die wahren Feinde der Demokratie, weil stabiles Funktionieren der europäischen und nordamerikanischen Wohlstandsgesellschaft ihrer Lesart nur in Kombination mit Rassismus und Ausbeutung anderer Völker gelingen kann.

Pankaj Mishra analysiert die Schriften von Niall Ferguson, einem britischen Historiker und einflussreichen Vertreter des Neoliberalismus, und setzt dessen Verherrlichung des britischen Empires als Pionier der freien Welt die zerstörerischen Auswirkungen des Kolonialismus entgegen. Ich lerne in einem weiteren Essay, dass der 1. Weltkrieg nur in Europa eine lange Zeit des Friedens beendete, während die Kolonialmächte Jahre vorher in Asien und Afrika blutige Auseinandersetzungen anzettelten. Er schreibt über Islamophobie und faschistische Mystik und untersucht am Beispiel von Te Nahisi Coates, einem farbigen US-amerikanischen Journalisten und Buchautoren, den Rassismus innerhalb der USA.

Eine Buchvorstellung der besonderen Art gelingt ihm mit dem Essay zu Catherine Boos Roman „Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben“, in dem die Autorin die Mär von der Chancengleichheit in der indischen Demokratie da absurdum führt. Das Buch steht inzwischen auf der Liste der Bücher, die ich unbedingt lesen will.

Pankaj Mishras Texte sind sachlich und flüssig geschrieben, mit einer angemessenen Portion von Ironie, abgesehen von dem Text zu Catherine Boo, in dem deutlich Bewunderung zu spüren ist.

Er setzt allerdings einiges an Vorwissen voraus, was man als Entmutigung nehmen kann oder eben als Ansporn. Mein Exemplar des Buches ist voll mit Notizzetteln und Anmerkungen, die mir bei Bedarf Wegweiser für weitere Recherchen sind. Von mir bekommt es auf jeden Fall eine klare Leseempfehlung für alle, die an systematisch zusammengetragenem Hintergrundwissen interessiert sind.

Pankaj Mishra: Freundliche Fanatiker.
Aus dem Englischen übersetzt von Laura Su Bischoff und Michael Bischoff.
S. Fischer, April 2021.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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