Elfen, ja ich meine die hochgewachsenen, ästhetischen, spitzohrigen Wesen mit dem hellen Teint sind uns spätestens aus dem Herrn der Ringe und dessen mannigfaltigen Nachahmern ein Begriff. Aus der modernen Fantasy sind sie nicht mehr wegzudenken, leben und wirken sie in uralten Wäldern in Symbiose mit der Natur und sind für ihre Treffsicherheit in Sachen Bogenschießen weithin bekannt.
Was mittlerweile, nachdem die moderne Unterhaltungsindustrie sich der Rasse angenommen hat, fast in Vergessenheit geraten ist, das ist deren eigentlicher Ursprung.
In den fast vergessenen Sagen und Märchen des Nordens, der Wikinger wie der Germanen begegnen uns nämlich ganz andere Elfen. Das sind zauberfähige Gestalten, die sich vor den Menschen in ihren Reichen verstecken, die für erlittenes Unrecht grausam Rache üben und menschliche Kinder in ihr Reich entführen – so zumindest die Sage.
Zusammen mit ihren beiden Söhnen macht ein deutsches Ehepaar auf Island Urlaub. Während der Papa ein paar geschäftliche Termine wahrnimmt, die Mutter ihre kreative Ader wieder entdeckt und den Pinsel schwingt erkunden die Söhne Fabio und Tom die Umgebung.
Im angemieteten Haus finden sich Hinweise auf die Tochter ihrer Vermieterin Elín, die sich als ein wahrer Wirbelwind entpuppt. Während der hochbegabte und sportliche Tom sofort eine Verbindung zu der Isländerin aufbaut, tut sich der körperlich kleingewachsene „Zwerg“ Fabio, der laut einem Gutachten wohl auch nicht mehr weiterwachsen wird, schwer. Er fühlt sich ausgeschlossen, ist verletzt und findet in dem Motorradfahrer Hansen einen eigenen Freund.
Dass Hansen weder ein Smartphone noch einen Internetaccount hat rächt sich, als Fabio eine verstörende Entdeckung macht – Libellen verfolgen ihn, er sieht Jugendliche, die sonst außer ihm niemand sehen kann.
Zu gerne hätte er mit Hansen, der sich bestens in der nordischen Mythologie auskennt, über die nur auf den ersten Blick normal erscheinende Jugendlichen die ihn verfolgen ausgetauscht.
Je mehr er diesen nachforscht, desto mysteriöser wird die Angelegenheit. Was haben diese mit Elín und ihrer vom Pech verfolgten Familie zu tun?
Auf dem Pferdehof des Onkels von Elín kommen die Feriengäste und ihre Freundin einem Geheimnis auf die Spur, das zu phantastisch ist, als dass man es glauben könnte – umfasst es doch Widergänger, Elfen und einen Fluch …
Zwei Autoren ragen aus der deutschsprachigen phantastischen Buchszene heraus.
Das ist zum Einen Kai Meyer, der magische Realist, der in seinen Büchern immer ganz eigene Wege geht.
Und dann tauchte in den vergangenen Jahren eine gewisse Nina Blazon immer regelmäßiger in den Bestsellerlisten und bei Preisverleihungen auf. Just wurde ihr während der Leipziger Buchmesse der Seraph verliehen, ihre liebevoll-sympathische Art öffnet ihr bei den Lesern und Fans alle Türen. Nicht von ungefähr fiebern ihre vielen Lesefreunde jeder Neuerscheinung aus ihrer Werkstatt entgegen Egal, ob sie einen historischen oder einen phantastischen Roman vorlegt – die Grenzen sind hier zumeist sowieso nicht sonderlich scharf gestellt – immer wartet ein besonderes Lesevergnügen auf den Rezipienten.
Dies ist vorliegend nicht anders.
Statt uns aber in eine archaische Welt oder zu einer früheren Zeit zurückzuführen bleibt die Autorin vorliegend im Hier und Jetzt.
Als Hier dient ihr Island, die Insel der heißen Quellen im nördlichen Atlantik, eine Bühne, die wild-romantisch, karg und doch beeindruckend dargestellt wird.
In diese Kulisse hat sie eine, nein eigentlich gleich mehrere Handlungen eingebaut, die uns rühren, die uns packen und denen wir fasziniert folgen.
Da gibt es zunächst die sich äußerlich so sehr ähnelnden Jungen Fabio und Tom. So sehr die Brüder auch zueinander stehen, die unterschiedliche Entwicklung – hier die hochbegabte Sportskanone, dort der körperlich wie geistig normale entwickelte, dabei kleinwüchsige ältere Bruder – ein unterschwelliger Konflikt wird hier trotz der gegenseitigen Zuneigung und des Rücksicht nehmen, vielleicht gerade deswegen, deutlich. Dazu kommt die Tochter der Vermieterin, die ähnlich wie Fabio, in der Schule ausgegrenzt wird, die keine Freunde, kein soziales Umfeld hat und schlicht einsam ist. Sie selbst sieht sich als Störfaktor im Leben ihrer alleinerziehenden Mutter, als Grund dafür, dass immer alles schief geht.
Mit dem mysteriösen Biker Hansen gesellt sich ein weiterer Protagonist hinzu, dessen Geschichte später offenbart wird und der sich letztlich als tragische Figur erweist.
So geht es oberflächlich wie zwischen den Zeilen viel um Beziehungsgeflechte, um Komplexe und und Schuld. Das ist alles sehr verschachtelt, lebt durch und mit den vielschichtigen, interessant gezeichneten Charakteren und nimmt die Magie der Elfen und Feen spät, dann aber mit Wucht auf.
Blazons Elfen erinnern auch eher an die irischen Feen, die den Menschen ablehnend gegenüberstehen, die ihre durchaus nachvollziehbare Ressentiments pflegen.
Es gilt viele Geheimnisse aufzudecken, mutige Unternehmungen zu planen und durchzuführen und altes Unrecht zu richten. Die phantastischen Einschübe sind überzeugend in den Plot eingebettet, die Figuren agieren altersgerecht, entwickeln sich innerhalb der Handlung nachvollziehbar und führen den Leser unauffällig aber deutlich zu der Aussage, zu dem zu stehen, was man ist, Fremde zu respektieren und anzunehmen und verlässlich zu agieren.
So ist dies erneut ein echter Blazon, tiefgründig, unterhaltsam, packend und ein Pageturner par exzellence.
Nina Blazon: Silfur – Die Nacht der silbernen Augen.
cbt, März 2016.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.