Neal & Jarrod Shusterman: Roxy: Ein kurzer Rausch, ein langer Schmerz

*Dieses Buch kann negative Trigger auslösen!*
Roxy auf Oxy? – ein Jugendbuch mit Potential.
Stell dir vor, Drogen wären Menschen wie du und ich … Was würden sie fühlen, denken und wovon würden sie heimlich träumen?“ Dieser Fantasy-Thriller erzählt von der „toxischen Liebesgeschichte zwischen Mensch und Droge – schillernd & gefährlich.“

Dabei soll dem Leser durch die göttergleiche Personifizierung der Drogen und verschreibungspflichtigen Medikamenten die vielschichtigen Dimensionen nähergebracht werden. Wenn es das Ziel des Vater-Sohn-Autorenduos war, Jugendliche vor Drogenmissbrauch – der längst pandemisch eskaliert ist – zu warnen, ist es schlicht misslungen, denn die Ausführungen machen nicht genug Angst, sie zeigen zu wenig die grausam zerstörerischen Abgründe. Gleichzeitig sind einige Passagen zu beschreibend erklärt, zu distanziert und für mein Empfinden nicht eindringlich genug.

Die Autoren haben einen interessanten Anfang gewählt, der einen soliden Spannungsbogen aufbaut. Leider ziehen sich die teils ziemlich konstruiert wirkenden Dialoge des personifizierten Familiendrogenclans zäh in die Länge. Bemerkenswert hingegen ist das wunderschön gestaltete Cover inklusive Klappenbroschur. Absolut eye-catching.

Bevor ich meinen bedeutsamsten Kritikpunkt darstelle, möchte ich zuerst den bildlichen Schreibstil der Autoren hervorheben, bspw. die Zwillinge Dusty und Charlie, die Kokain repräsentieren, tragen weiße Seidenanzüge und funkelnden Schmuck, hängen in privaten Logen rum und tun so, als würde ihnen die ganze Welt gehören. Addison aka Adderall hingegen ist schrill gekleidet, als wäre er Mitglied eines Yachtclubs, der seinem Vater gehört, strotzend vor Prestige und Privilegien. Ebenso anschaulich sind Isaacs „Roxy“-Entzugsversuche beschrieben. „Er fühlt sich wie Walking Dead im fortgeschrittenen Verwesungszustand“ (S. 345) und seine Knochen schmerzen und kribbeln, „als ob in seinem Mark tausend schwarze Witwen hausen würden“ (S. 301).

In der Geschichte wird Isaac wegen eines schweren Sturzes Roxy (Wirkstoff Oxycodon) verschrieben, daraufhin rutscht er rasend schnell in die Abhängigkeit. Seine ältere Schwester Ivy bekommt von ihrem Arzt Addison (amphetaminhaltiges Kombinationspräparat Adderall), weil sie ihr unbehandeltes ADHS immer mehr frustriert. Die beiden verschreibungspflichtigen Medikamente „Roxy“ und „Addy“, so ihre cool klingenden Szenenamen, spielen aber in extrem konträren Leveln.

Hier kommt an dieser Stelle auch mein Kritikpunkt: Genau diese Differenzierung fehlt mir in dem Buch. Ausreichend wäre eine smarte, aber deutliche Andeutung oder Veranschaulichung gewesen, wie gefährlich und stark suchterzeugend das Schmerzmittel OxyContin (als halbsynthetisches Opioid!!, das stärker wirkt als Morphin) ist und wie es – im Gegenzug zu Adderall – einzuordnen ist. Ich persönlich halte sowohl die lapidare Klassifikation, als auch die Stigmatisierung und Undifferenziertheit bezüglich Konsum und Abhängigkeit für sehr bedenklich. Wie wir wissen, haben die Politik und die Gesellschaft die amerikanische Opioidkrise – die seit zwanzig Jahren glimmt und in der seit dem Jahr 2000 so viele Menschen gestorben, wie für das Land im Zweiten Weltkrieg gefallen sind – weitestgehend ignoriert. Doch immer mehr Dokumentationen und Serien (u. a. Dopesick) schießen aus dem Boden und beleuchten jene Trümmer. So versucht es auch dieses Buch.

Allerdings habe ich mir erhofft, dass ich mich in dieser Geschichte verlieren kann, doch leider kratzt sie noch zu sehr an der Oberfläche. Vielmehr habe ich mir jedoch eine glasklare Botschaft gewünscht. Denn diese außergewöhnliche Story hätte das Potential gehabt, einen nuancierten Grundstein für Aufklärungsarbeit und Suchtprävention über Drogenmissbrauch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu legen.

„Roxy“ ist interessant und spannend, doch leider schafft das Werk kein wirklich tiefgründiges Bewusstsein über all die im Buch erwähnten Substanzen, weil die Verflechtungen, Wirkspektren und Suchtpotenziale in der Realität viel zu komplex dafür sind. Dazu werden sie teilweise auch aus dem ursprünglichen Gesamtzusammenhang gerissen und eher als klischeebehaftete Karikaturen beschrieben.

Dementsprechend gebe ich diesem Roman drei Sterne, spreche dennoch eine Leseempfehlung für alle Interessierte aus. Trotz meiner Kritik, habe ich es sehr genossen, diese innovative und einzigartige Geschichte zu verfolgen.

Für jene, die mit einer Sucht ringen: Möget ihr die Kraft finden, die Dämonen abzuwehren, die als Götter posieren.“ (S. 5)

Neal & Jarrod Shusterman: Roxy: Ein kurzer Rausch, ein langer Schmerz.
Aus dem Englischen übersetzt von Pauline Kurbasik & Kristian Lutze.
Fischer Sauerländer, Februar 2022.
448 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Olivia Grove.

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