Max Gladstone: Fünf Faden tief

Willkommen auf der Insel Kavekana – einst der Hort eigener Götter, nach den Götterkriegen, wie so viele der Landstriche und Länder der Welt, von eben jenen mittlerweile toten Göttern verlassen. Doch die Bewohner des Inselatolls haben aus der Not heraus etwas Neues, ein erfolgversprechendes Projekt auf die Beine gestellt. Im Auftrag der zahlungskräftigen Kunden schaffen sie künstliche Götter, die die Gläubigen dann anbeten können. Naturgemäß wirken diese weder Wunder noch reagieren sie auf ihre Jünger – die Nachfrage ist da, also ein gutes Geschäft für Land und Leute.

Kai ist Priesterin und entwickelt Gottheiten im Dienst der Firma. Dass sie Mitleid mit einer Kollegin hat, deren Götter-Konstrukt stirbt, verleitet sie dazu zu versuchen, die Gottheit zu retten. Nicht nur, dass sie beim Eintauchen ins Becken fast ertrinkt, ihr Versuch misslingt, sie selbst wird schwer verletzt. Allerdings meint sie sich zu erinnern, dass die sterbende Gottheit mit ihr geredet hätte – etwas, das eigentlich nicht sein kann, nicht sein darf!

Schnell findet sie sich, größtenteils genesen, auf dem Abstellgleis wieder. Man hat sie kaltgestellt – vielleicht, weil sie zu viel weiß, zu intensiv fragt? Zusammen mit einer Diebin von der Straße macht sie sich auf, das Mysterium zu lösen – und stößt dabei auf Geheimnisse, Verschwörungen und Götter …

Auch im dritten Teil, der bislang sechs-bändigen Reihe um die Kunstwirker-Chroniken, präsentiert uns der Verfasser wieder einen neuen Handlungsort und frische, unverbrauchte Protagonisten. Das Buch kann ohne jegliche Mühe auch ohne die Vorkenntnis der beiden vorhergehenden Titel gelesen werden.

Kavekana erinnert dabei an das Inselparadies Hawaii. Hier herrschen weder die Skelettkönige noch die restlichen, verbliebenen Götter – hier herrscht die Macht des Mammons. Vor Jahrzehnten haben die Götter mit den Besten ihrer Anhänger das Archipel verlassen und sind in die Götterkriege gezogen. Währenddessen hielten die Büßenden Wacht und bewahrten den Glauben (S. 376).

Perverser Strafvollzug

Als besonderes Schmankerl hat sich der Autor eben die von den in den Krieg gezogenen alten Göttern zurückgelassenen Büßenden einfallen lassen. Künstliche, überlebensgroße Statuen, in deren Inneren man Verbrecher – ab einem gewissen Alter – einsperrt, die in der Folgezeit innerlich gebrochen und zu Recht und Ordnung umerzogen werden. Das nenne ich einmal modernen (perversen) Strafvollzug – mit der Garantie, dass der Verbrecher, gleich welchen Alters oder Geschlechts, nie wieder straffällig werden kann.

Gladstone erzählt uns seine Geschichte aus Sicht zweiter Erzähler. Kai, ursprünglich als Mann geboren, hat sich während der heiligen Zeremonie im Becken zur Frau erneuern lassen. Hier inkludiert der Autor herrlich unaufgeregt und selbstverständlich Transgender-Darstellungen in seine Handlung – Star Trek Discovery, so macht man das! Das wirkt einfach normal, akzeptiert, nie aufgesetzt oder herausgestellt.

Das Straßenmädchen Izza ist unsere zweite Erzählerin. Während Kai in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen lebt, muss sie durch Diebstähle für ihr Überleben sorgen. Dass sie dabei, als de facto Anführerin einer Kinderbande, für diese die Verantwortung übernommen hat, erschwert ihr das Leben. Sie will eigentlich weg – sie wird alt genug, um sobald sie gefasst wird, in eine Büßerstatue gesteckt zu werden – lernt dann aber einen Dichter kennen, dem göttliche Inspiration zu Eigen wird. Etwas, das eigentlich unmöglich sein dürfte, sein sollte …

Entgegengesetzte Lebensweisen

Mittels dieser Aufteilung bekommt der Lesende geschickterweise beide einander diametral entgegengesetzte Lebensweisen auf der Insel zu Gesicht. Hier die in gesicherten Verhältnissen, ja in bescheidenem Reichtum lebende Priesterin, dort das immigrierte, darbende Straßenmädchen, dessen einziger Halt, ihre Göttin, stirbt. Auf den ersten Blick zwei ganz unterschiedliche Menschen und doch haben sie ein gemeinsames Ziel. Die Suche nach Halt, die Hoffnung auf ein göttliches Wesen, das ihnen Zuversicht und Hilfe schenkt.

Am Rande treten drei aus den ersten Bänden bekannte Figuren, Teo, Mrs. Kavarian und Cat, als Gäste auf, ohne aber wirklich entscheidende Rollen zu übernehmen. Der Fokus bleibt eindeutig auf unseren beiden Erzählerinnen.

Wie schon in den ersten beiden Romanen der Reihe vermischt der Verfasser Philosophie mit Action, Geheimnissen und tollen Ideen. Im Mittelteil hängt die Handlung ein klein wenig durch, scheint der Plot einige Zeit gar nicht voranzukommen. Im Finale aber zieht Gladstone das Tempo erheblich an, offenbart uns Geheimnisse am laufenden Band und nimmt uns durch und mit seinen Protagonistinnen gefangen.

Max Gladstone: Fünf Faden tief: Kunstwirker-Chronik 03.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Helga Parmiter.
Panini, Dezember 2022.
443 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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