Mary Miller ist eine junge (Jahrgang 1977) US-amerikanische Autorin, deren Romandebüt „Süßer König Jesus“ (Originaltitel „The last days of California) von 2013 hierzulande hochgelobt wurde („Sie wird als »the next big thing« gehandelt.“ s. Klappentext Metrolit Verlag). Im Februar 2017 ist ihr Kurzgeschichtenband „Big World“ aus dem Jahre 2009 in einer Übersetzung von Alissa Walser bei dtv erschienen. Darin zwölf Kurzgeschichten über junge Frauen in den USA.
Da ist das namenlose Paar in „Cedars of Lebanon“, die einen verdreckten, gebrauchten Campingwagen herrichten, um damit ein paar Tage wegzufahren. Und während die Frau im Grunde schon weiß, dass sie ihren Freund verlassen wird, wie sie alle Männer verlassen hat, raucht er seinen Joint, guckt einen Film auf DVD oder grillt Hotdogs. Oder das Mädchen und sein Vater, die nach dem Tod der Mutter miteinander zurechtkommen müssen. Die zwei Schwestern Melissa und Audrey verbringen ihre Zeit vor dem Fernseher und in Bars, trinken und schleppen Jungs ab.
Ein Paar macht Urlaub in einem Hotel in Pigeon Forge. Sie schießen mit dem Luftgewehr herum und haben Sex. Er spielt Gitarre und singt Lieder von Alkohol und Schnellzügen, während sie lautlos weint.
In der Titelgeschichte „Big World“ kehrt die Protagonistin zu der Beerdigung ihres Onkels nach Hause zurück, trifft dort ihre Schwester und sagt über ihren Vater und ihren Freund: „Wie mein Vater hatte er mich ganz allein in die weite Welt hinausgeschickt, und ich führte ihm vor, wie hässlich sie war.“
Eine andere stopft ihre Handtasche voll, um die Leere zu füllen. Und wieder eine wird von ihrem Hund ins Gesicht gebissen und kann trotzdem nicht gehen, weil sie dann nur wieder zurückwollen würde.
In der letzten Geschichte „Nicht alle, die wandern, sind verloren“ schläft eine junge Frau, die in einer Bar kellnert und einen reichen Vater hat, mit ihrem Chef Arthur, bekommt von einem Bekannten namens Norbert ein Armband geschenkt, welches sie nicht mag, aber trotzdem trägt, und schläft dann doch mit dem Koch Tim.
Die jungen Frauen in Mary Millers Geschichten verbringen ihre Zeit mit Fernsehen, Alkohol, Marihuana und Sex mit Männern, die sie nicht lieben. Manchmal arbeiten sie auch in unterbezahlten Jobs, die sie nicht mögen. Den Frauen sind ihre Mütter, die entweder tot sind oder die die Familie verlassen haben, abhanden gekommen Sie langweilen sich durch ihr Leben. Eigentlich steht ihnen angesichts ihrer Jugend die große, weite Welt offen. Doch sie schaffen es nicht, sie zu erobern. Stattdessen verschwenden sie ihre Zeit mit Männern, die sie wieder verlassen werden.
Mary Miller beschreibt ihre Protagonistinnen, wie sie sind. Ihre Sprache ist direkt: „Vorhin, als ich zwischen seinen Beinen hockte, sagte er, er wolle sich umbringen, und ich sagte, könntest du damit warten, bis ich deinen Schwanz aus dem Mund genommen habe?“
In wenigen Sätzen entwirft Miller ein schonungs- und trostloses Umfeld für ihre Hauptfiguren. Es genügen ein paar Einzelheiten: „Er hatte ein Luftgewehr und einen Bierkasten hingestellt, um darauf zu schießen. Wir waren in einem Hotelzimmer in Pigeon Forge.“
Und damit entsteht ein ganzes Bild im Kopf. Das macht Millers Storys stark und wirkungsvoll. Miller schreibt Geschichten über Frauen, wie ein Mann sie schreiben würde. Und das ist als Kompliment gemeint.
Allerdings fremdele ich auch ein bisschen mit diesen Geschichten, ich frage mich ungeduldig: Was ist bloß los mit diesen jungen, weißen US-Amerikanerinnen? Wieso geraten sie immer an die falschen Männer? Und schließlich: Warum nehmen sie ihr Leben nicht selbst in die Hand? Antworten geben die Texte nicht. Millers „Heldinnen“ sind keine und ihre Storys enden wenig hoffnungsvoll. Aber sie sind gut geschrieben.
Mary Miller: Big World: Storys.
dtv, Februar 2017.
192 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.