Marco Balzano: Wenn ich wiederkomme

Ein bewegendes Schicksal: Anhand der Geschichte der Rumänin Daniela, die ihre Kinder zurücklassen muss, um in Mailand Geld zu verdienen, verdeutlicht Balzano den traurigen Werdegang dutzender Frauen aus Osteuropa und anderen Ländern. Sie arbeiten als Altenpflegerin, Krankenschwester, Kindermädchen, Putzfrau. Sie kümmern sich um die Alten und Schwachen, verrichten Arbeiten für die sich der wohlhabende Westen zu schade ist. Eingesperrt mit Kranken, die an komplizierten Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson leiden, bleiben sie nach außen hin oft unsichtbar. Oder wussten Sie, rumänische Psychiater tausende Patientinnen behandeln, die an der „Italienkrankheit“ leiden? Oder dass seit rund 30 Jahren zwei Drittel aller Migranten weltweit Frauen sind? In seinem dreiteiligen Roman schildert der Mailänder Autor die Geschichte sowohl aus Sicht der Mutter, als auch aus Sicht ihrer beiden Kinder, die den Verlust der „Moma“ auf unterschiedliche Weise verarbeiten. Beide müssen schnell erwachsen werden.

Bevor sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert hat, ist Daniela stolz auf ihren früheren Job in ihrer Handelsfirma gewesen. Auch ihr Ehemann hat seine Arbeit verloren und sucht Trost im Alkohol. Für Daniela steht fest: Ihre Kinder Angelica und Manuel sollen es einmal besser haben! Da nur Bildung zum Erfolg führen kann, will sie genügend Geld im Ausland verdienen, um sie auf eine teure Privatschule schicken zu können. In einer Nacht- und Nebelaktion verlässt sie die Familie, um einen hochbetagten Dementen in Mailand zu pflegen. Auf die harten Arbeitsbedingungen war Daniela nicht vorbereitet. Ihr Schamgefühl samt Schlafbedürfnis muss sie schnell überwinden lernen. Ob Füttern, Waschen, Toilettengang – der Alte kämpft in allem gegen sie. Daniela ist 24 Stunden am Tag gefordert. Noch dazu erlebt sie alle Arten von Herabwürdigung. Zum Beispiel: „Schwarze lassen sich leichter rumkommandieren. Ihr aus dem Osten seid die reinsten Diktatorinnen.“ (S. 138)

Mehrmals wechselt Daniela ihre Arbeitsstelle, denn die Pflegebedürftigen landen früher oder später im Krankenhaus oder auf dem Friedhof. Mal macht sie positive, mal negative Erfahrungen. Manche wachsen ihr ans Herz, manche bleiben ihr trotz all der Nähe fremd. Ihr ursprünglicher Plan, möglichst schnell viel Geld beiseite zu legen, um nach Rumänien zurückkehren zu können, scheint nicht aufzugehen. „Bis ich wieder nach Rădeni zurückkehre, wird mein Leben immer darin bestehen, Alten beim Sterben zuzusehen. Und mir fiel ein, wie ich als Kinder in der Holzkirche ganz versunken die Kerzenstummel betrachtet hatte, die in sich erloschen.“ (S. 141)

Die Telefonate mit den Kindern werden immer einsilbiger, der Sohn tritt ihr geradezu feindselig entgegen. Aus schlechtem Gewissen schickt sie ihm Markenkleidung sowie die neuesten technologischen Gadgets rund um Konsole und Handy. Nähe und Zuneigung können diese allerdings nicht ersetzen. Davon zeugen die beiden aus Sicht der Kinder geschriebenen Teile. Manuel fühlt sich einsam. Auf der internationalen Schule kommt er überhaupt nicht zurecht, da er hier von Anfang an geschnitten wird. Nachdem auch der Vater die Familie verlässt, um in Polen als LKW-Fahrer zu arbeiten, wächst Manuel hauptsächlich bei seinem Großvater auf. Nur mit diesem ist er glücklich. Ihm gefällt die Gartenarbeit, die Reparaturen am Haus. Kurz: harte, ehrliche Arbeit. Darum möchte Manuel die Privatschule verlassen, um auf eine Landwirtschaftsschule zu gehen. Was ihm die Mutter untersagt. Wozu schuftet sie sich in Italien ab, um ihm ein besseres Leben zu bieten? Doch nicht, damit er letztlich als Bauer endet! Durch die Distanz verkennt sie Manuels wahren Charakter: Während andere rumänische Jugendliche in die Städte oder ins Ausland stürmen, liebt er die wilde Schönheit seiner Heimat. Er träumt davon, dass alte Haus zu einer Pension für Touristen umzubauen. Als der Großvater jedoch stirbt und die Mutter ihn weiter zum Besuch der Privatschule zwingt, kommt es zur Katastrophe… Diese kann auch seine ältere Schwester Angelica nicht verhindern. Sie schlägt einen anderen Weg ein. Ihrer Rolle als Ersatzmutter überdrüssig, nimmt sie nach außen hin alle Aufgaben pflichtbewusst an, schmiedet aber heimlich andere Pläne.

Lebensnah, schmerzlich und doch mit leisen Tönen von Optimismus und Lebensfreude durchzogen, handelt der Roman das Thema äußerst differenziert ab. Davon zeugt das Nachwort. Recherchen haben den Autor in die Kinderheime der „Euro-Waisen“ getrieben, er hat sich mit Psychiatern und Betroffenen über den in Rumänien als „Italienkrankheit“ bezeichneten Burn-Out der Pflegerinnen unterhalten.

Der Gymnasiallehrer und vielfach ausgezeichnete Autor Marco Balzano verleiht jenen eine Stimme, die von der Gesellschaft oder der Geschichte vergessen werden. In seinem Roman „Ich bleibe hier“ nahm er sich dem Schicksal der Südtiroler an, die – weder richtig deutsch noch italienisch – zwischen den Weltkriegen als Bauernopfer auf dem Schachbrett der Politik umhergeschoben wurden. In diesem Roman widmet er sich dem Schicksal weiblicher Migrantinnen und ihrer zurückgelassenen Kinder. Ohne jemals in Sentimentalität abzudriften, findet der Autor starke Bilder und starke Worte, die einen beim Lesen nahegehen. Es gibt keine Schablonen, kein Richtig und Falsch. Auch eine gute Absicht kann viel Unheil nach sich ziehen. Kinder brauchen Eltern, doch sie brauchen auch Zukunftsperspektiven. Was tun, wenn man ihnen nur eines von beidem bieten kann? Wichtige Fragen, auf die unsere Gesellschaft eine Antwort finden muss.  Ein topaktuelles und sehr bewegendes Buch!

Marco Balzano: Wenn ich wiederkomme.
Aus dem Italienischen übersetzt von Peter Klöss.
Diogenes, September 2021.
320 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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