Jean Prévost: Das Salz in der Wunde (1934)

Das Salz in der Wunde von Jean PrevostJean Prévost (1901 – 1944) schrieb neben literaturkritischen Texten und Reportagen auch Romane, in denen die emotional begründete Handlung seiner Helden im Mittelpunkt steht.
»Das Salz in der Wunde« erzählt vom Fall und Aufstieg des Jurastudenten Crouzon während der goldenen zwanziger Jahre. Der junge Mann hat bereits als Waisenkind das Kämpfen gelernt. Mit Intelligenz und Fleiß behauptet er sich in einer Pariser Eliteuniversität. Hinter dem Vorhang am Ende eines Flures lebt er in einem provisorischen Zimmer. Dort schreibt er für Studenten Examens- und Doktorarbeiten. Zum Lohn spielt er im Kreise reicher »Freunde« den dankbaren Zuschauer, dem man ab und an Vergünstigungen zuschiebt. Zum Beispiel könne er über Beziehung eine Stelle in einem Büro erhalten. Was Crouzon zu seinem Lebensglück noch fehlt, ist die mit dem avisierten Einkommen verbundene Chance, die »Sperberin«, seine heimliche Liebe zu heiraten.
Eines Tages behauptet ein langjähriger Freund, Crouzon sei ein »Dieb«, auch wenn die angeblich gestohlene Brieftasche unter dem Schreibtisch liegt. Der ungerechte Vorwurf setzt in Crouzon einen tiefen Hass frei, der zu Handgreiflichkeiten führt. Erst allmählich begreift er seine Situation.
Alles verloren: die Anstellung, die Freunde und seine Sperberin. Natürlich reden sie jetzt über ihn. Dieser Umstand schmerzt ihn so sehr, dass er glaubt, fortgehen zu müssen. Weg von der Schande, der Ausgrenzung und hinein in die Provinz, wo er befristet eine Wahl koordinieren soll. Ein Fremder in der Fremde, der seine Dienste billig verkaufen muss. Was nun beginnt, ist ein wunderbarer gesellschaftlicher Aufstieg mit vielen Hindernissen.
Jean Prévost schreibt ähnlich wie Hans Fallada über Missstände, die mit der Armut und der damit verbundenen Chancenungleichheit einhergehen. Während in Falladas Romanen das Leben der Helden systematisch zerstört wird, lässt Prévost seine Charaktere jede Schwierigkeit überwinden. Der Hass schenkt Crouzon Kraft und Motivation zugleich. Zwei Frauen bilden im Laufe der Handlung das Gegengewicht: Die eine hilft ihm wie eine mütterliche Freundin, die andere, ihre schöne Nichte, könnte die ideale Ehefrau werden. Crouzon entdeckt zum zweiten Mal in seinem Leben die Liebe.
Die Verknüpfung zwischen innerem und äußeren Reichtum macht aus diesem Roman ein noch immer aktuelles Werk, auch wenn andere Zeiten andere Sitten aufleben lassen. Crouzons eiskalte Hochzeitsnacht dürfte in der Literatur einmalig sein.

Jean Prévost: Das Salz in der Wunde (1934).
Manesse Verlag, Mai 2015.
288 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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