Frans Kellendonk: Buchstabe und Geist (1982)

»… Alles liegt immer an einem selbst. Du wolltest nicht mehr so wichtig sein. Du wolltest dich verlieren und dein Leben retten. Du kamst, um ein Mensch unter Menschen zu werden, in der Hoffnung, deine Glasglocke der Eitelkeit würde zerbrechen. Es ist dir nicht gelungen. Und du glaubst, es wird niemals gelingen.» (S. 140/141)

geistFelix Mandaat jagt einem Geist hinterher. Er ist so flüchtig, dass er ihn noch nicht einmal zu benennen vermag. Vergeblich suchte er sein Glück in der Dichtkunst. Und dann, kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag sollen ihm die Menschen helfen. Die Vertretungsstelle in der Bibliothek entwickelt sich jedoch nicht so, wie er hofft. Aus irgendeinem Grund bleibt er zwischen den vielen, schriftstellerisch tätigen Kollegen der Außenseiter. Zusammen mit ihren eigenen Büchern haben sie in den Hallen eine geistige Heimat gefunden, einen Hort der Gelehrsamkeit. Mandaats anfängliches Unbehagen bleibt. Allmählich verändert die Arbeit in diesem alten Gemäuer seine Wahrnehmung. Bei einem Zwiegespräch erklärt ihm der Konservator Molhuysen:

»… Natürlich ist alles Mögliche bei uns nicht in Ordnung. Unser Direktor ist ein schwieriger Autokrat – obendrein ein Autokrat, der nicht weiß, was er will. Und so eine uralte Institution wie unsere baut man nicht an einem Tag um. Aber es hat sich etwas geändert in den vergangenen Jahren, trotz allem …« (S. 140)

Mandaats Jagd nach »Gespenstern« scheint der einzig folgerichtige Weg zu sein.

Frans Kellendonk (1951 – 1990) starb viel zu früh und zählt doch zu den literarischen Monumenten in den Niederlanden. Seine Stiftung prämiert alle drei Jahre Autoren, die wie er unabhängig und originell über gesellschaftliche beziehungsweise essentielle Problematiken schreiben.

1982 erschien sein dritter Roman »Buchstabe und Geist«, dem man tendenziell auch biographisches Erleben entnehmen kann. Seine unverwechselbar eigene Art zu erzählen, das Spiel mit der Doppeldeutigkeit und die liebevolle Zeichnung der Charaktere machen die Lektüre zu einem besonderen Erlebnis. Sprachstil und Stilmittel der alten Meister hat Kellendonk nicht nur modernisiert, er spielt mit ihnen. Wie einst Kleist fasst er in der Einleitung das Dilemma des Helden zusammen. Bereits durch die Auswahl des Namens Felix /»Glück bringen« und Mandaat / »Vollmacht« beginnt ein Spiel mit Vorzeichen, das keinen geraden Weg nehmen kann. Gleichzeitig baut Frans Kellendonk vielschichtige Episoden zu einem Mosaik auf, indem sein Erzähler von Szene zu Szene springt und diese mit Vor- und Rückblenden zu einem Netz verknüpft.

Geschichten in der Geschichte und Vergnügliches halten sich die Waage. Ob es die Last mit der Lust ist, ein Erlebnis seines Großvaters oder die Sinnhaftigkeit von gelehrten Übersetzungen, deren Original schließlich als Fälschung enttarnt wird. Stets finden sich überraschende Wendungen. Aber auch Gedankengänge, die zu eigenem Nachdenken unaufdringlich einladen.

Frans Kellendonk: Buchstabe und Geist (1984).
Lilienfeld Verlag, Juli 2016.
176 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,90 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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