Flannery O’Connor: Keiner Menschenseele kann man noch trauen. Storys (1948-1955)

Flannery O’Connor ist eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Ihre Storys zählen heute noch zur Schul- und Universitätslektüre. Der wichtigste Kurzgeschichtenpreis der USA ist mit ihrem Namen, dem  „Flannery O’Connor Award for Short Fiction betitelt.

Die Erzählungen in diesem Band entstanden in den Jahren zwischen 1948 bis 1955 und sind den Sammlungen „A Good Man is Hard to Find und „Everything That Rises Must Converge“ entnommen.

Was ist das Schlimmste, Unmöglichste, das Romanfiguren widerfahren könnte? – Flannery O’Connor scheint genau diese Überlegung angestellt zu haben und lässt in ihren literarischen Fiktionen aus den Fünfziger Jahren ungewöhnlich perfide Widrigkeiten eintreten.

Dabei hat der Arche-Verlag gut daran getan, O’Connors Sprache unzensiert wiederzugeben, was die Authentizität um so mehr unterstreicht.

Um Flannery O’Connors Geschichten besser nachvollziehen zu können, sollte man auch wissen, dass bei ihr im Alter von 26 Jahren die Autoimmunerkrankung Lupus festgestellt wurde. Nach dieser Diagnose kehrte sie auf die Farm ihrer Vorfahren zurück. Auf der Farm hielt sie Hühner, Enten, Gänse und Pfauen. Nur mit den Briefen, die sie erreichten, blieb sie mit der Außenwelt verbunden. Im Alter von nur 39 Jahren starb O’Connor an den Folgen ihrer Krankheit.

Alle ihre Storys sind nicht nur von ihrer außergewöhnlichen Biografie, sondern ebenso von ihrer Heimat Georgia beeinflusst.  So lässt sie das dunkle Herz der US-Südstaaten durch ihre Geschichten pulsen, in denen sie häufig das Leben der Farmer mit ihren meist schwarzen Arbeitern und Flüchtlingen, die bei der Bewirtschaftung helfen, thematisiert. Doch zeigt sich bei O’Connor  der alte Süden so ganz anders als z. B. bei Margaret Mitchell in ihrem Roman „Vom Winde verweht“ oder den Romanen von Truman Capote, dessen Geschichten ebenso dort spielen.

Sicherlich auch interessant zu wissen ist, dass Bruce Springsteen zwei seiner Songs nach Flannery O’Connors Storys betitelt hat, nämlich: „a good man is hard to find und „the River“. In einem Interview aus dem Jahr 2014 gab Springsteen an, von den  Kurzgeschichten O’Connors tief ergriffen zu sein.

Das protestantische Amerika ist in O’Connors Geschichten zerrüttet und vom Bösen heimgesucht, doch lässt die Autorin den Plot nicht nur im düsteren Desaster enden sondern verleiht den Geschichten mit skurrilen Elementen ihren unverkennbaren eigenen Stil.

O’Connors Figuren haben auffallend häufig blaue Augen (bei einer Protagonistin ist es gar ein Blau in der Farbe des Halses von einem Pfau). Die Frauen tragen Hüte. Mütter nehmen eine besondere Rolle in ihren meist sehr bedrohlichen Geschichten ein. Immer sind irgendwelche Gauner mit von der Partie, die dann gänzlich unerwartete Taten begehen. Überhaupt ist O’Connors Schreiben stark von Mord, Totschlag, Gewalt und Rassismus geprägt. Das Leben ihrer Figuren wird mit plötzlicher Wucht aus der Bahn geworfen.

Die Plantagen der Südstaaten haben ihre beste Zeit längst hinter sich. Das Leben ihrer Besitzer ist nicht mit großen Reichtümern gesegnet, sondern eher ärmlich geprägt. Die Menschen sind misstrauisch und missgünstig, finden ihre Bestätigung in scheinheiliger Frömmigkeit.

Wir machen in O’Connors Geschichten unter anderem Bekanntschaft mit einem Gesetzlosen, der die fröhliche Ausflugsfahrt einer Familie auslöscht. Oder mit dem Schicksal einer jungen Frau, die ihr Holzbein an einen üblen Gauner verliert. Oder ein geistig zurückgebliebenes Mädchen wird von der eigenen Mutter einem Herumtreiber anvertraut…

Immer wieder bestätigt sich am Ende: Keiner Menschenseele kann man noch trauen.

Flannery O’Connor: Keiner Menschenseele kann man noch trauen. Storys  (1948 – 1955).
Arche, Februar 2018.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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