Seth Krohn war ganz, ganz unten. Nachdem seine Frau in einem Unfall getötet wurde, hat er Trost in der Flasche gesucht, war auf dem Weg sich förmlich zu Tode zu saufen. Im Entzug fand er dann eine neue Hoffnung, eine neue Liebe.
Die ehemalige College-Professorin Judy wollte ihre Pfunde immer schon loswerden. Und wie geht das, vermeintlich zumindest am besten – Crack war die Antwort.
Als Crackhure verkaufte sie ihren Körper, jetzt ist sie auf Entzug und findet ihren Mister Right.
Für Beide beginnt, clean geworden, eine gemeinsame Zukunft. Dank des wirtschaftlichen Erfolgs des von Seth entwickelten PC-Games sind finanzielle Sorgen passee, ja Seth kann seinen Traum, ein altes, bestens erhaltenes Herrenanwesen in Maryland zu kaufen, erfüllen.
Das Lowen House ließ sich im späten 19. Jahrhundert ein aus Polen immigrierter Rabbi errichten der mit seiner Gemeinde eine neue Heimat suchte.
Kurz nach dem Einzug stoßen Arbeiter auf ein auf Seths Grund und Boden verschüttetes Flussdampfschiff, dessen Ladung zunächst in den Keller des Hauses gebracht wird. Kurz darauf werden vier der 10 Fässer, die mit Lehm gefüllt waren gestohlen – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Lehm, jüdischer Rabbi, richtig, Sie ahnen es, wir haben es mit der Golem Sage zu tun. Allerdings ist dies beileibe keine bloße Mähr, nutzt doch der lokale Drogenbaron, der von der Polizei gedeckt wird, den Golem, um unliebsame Konkurrenten auszuschalten. Dann aber droht die Mordmaschine außer Kontrolle zu geraten …
Wie hat dies Lees Kollege Richard Laymon einmal so griffig formuliert: „Edward Lee – das ist literarische Körperverletzung!“.
Ganz bewusst überschreitet er insbesondere in den für einen kleinen, spezialisierten Markt verfassten Extrem-Horrorbüchern Grenzen, erschlägt den Leser mit perversen, plakativen pornographischen Beschreibungen. Diese in Kleinverlagen erscheinenden Werke sind wahrlich jenseits des guten Geschmacks angesiedelt und beileibe nicht Massentauglich.
Neben diesen Schmuddel-Romanen veröffentlicht der Autor aber auch harte Horror-Bücher für den Massenmarkt. Vorliegender Roman ist diese Rubrik einzuordnen, und hat mir einen Edward Lee gezeigt, wie ich ihn bis dato noch nicht kannte.
Vorzüglich recherchiert nutzt er das eigentlich abgegriffene Golem Motiv um uns eine, nein, eigentlich sind es zwei Geschichten zu erzählen, die uns bannen und innerlich berühren.
Das soll beileibe nicht heissen, dass wir plötzlich einen weichgespülten Lee zu Gesicht bekommen würden, die übernatürlichen Sequenzen sind creepy, es wird gemordet, gefoltert und gelitten wie wir dies von einem Horror Roman auch erwarten. So gibt es Vergewaltigungen, Menschen werden geköpft und geschunden – soweit die bekannte Seite eines Ed Lee.
Doch gleichzeitig zeichnet der Autor ungewohnt intensiv und vielfältig das Bild von Charakteren, in denen wir uns mühelos hineinversetzen können, die zwar auf den ersten Blick stereotyp wirken, dann aber plastisch Gestalt annehmen und überzeugen. Sie handeln in ihrem Kontext stimmig, sind gezeichnet von ihren Fehlern und Schicksalsschlägen, haben ihre Fehler und Schwächen. Insbesondere die Zeichnung Judys ist, ohne hier spoilern zu wollen, meisterhaft gelungen.
Angereichert wird das Bild dann mit der Beschreibung jüdischer Mystik, die insbesondere mittels des in der Vergangenheit der jüdischen Kolonie liegenden Handlungsstranges beleuchtet wird. So bereitet der Autor seinem Plot ein glaubwürdiges und überzeugendes Gründgerüst, auf dem er seine Handlung in der Jetztzeit aufbaut.
Das hat alles, was einen guten Horror-Roman auszeichnet, harte Gewaltszenen, gruselige Aspekte, eine so noch nicht gelesene Golem-Handlung und das beklemmende Bild einer gepeinigten Frau – Lee at his best!
Edward Lee: Golem.
Festa, August 2014.
384 Seiten, Taschenbuch, 13,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.