Edvard Hoem: Der Geigenbauer

„Sein letztes Weihnachten verbrachte Lars mit dreien seiner sieben Töchter, und er sprach über vieles, was er ihnen nie zuvor erzählt hatte.“ (S. 8) Unter anderem sprach er über die fehlende Freiheit. Das ganze Land sei unfrei, und nicht alle, die fortgingen, fänden den Weg nach Hause zurück.

Lars Olsen Hoem (1782-1852) war der jüngste Sohn einer Bauernfamilie, die an der Westküste Norwegens lebte. Traditionell war sein Leben als Knecht vorbestimmt, indem Lars nach dem Tod des Stiefvaters weiter für dessen ältesten Sohn auf dem Hof der Familie arbeiten sollte. Sein einziger Ausweg, eigenes Geld zu verdienen, wäre mit einem Boot zu fischen und Waren zu transportieren. Ohne Geld fortzugehen, war noch mit weiteren Schwierigkeiten verbunden. Denn jeder, der in die Fremde wollte, musste zuvor konfirmiert werden, um als Erwachsener zu gelten.

Lars wartete ungewöhnlich lange auf seine Konfirmation. Erst als für den Napoleonkrieg junge Soldaten gebraucht wurden und Lars mit 50 anderen jungen Männern eingezogen wurde, änderte sich für ihn alles.

Der Autor und Übersetzer Edvard Hoem, geboren 1949 in der Nähe von Molde, wurde 2020 für seine Verdienste um die norwegische Literatur ausgezeichnet und trägt den Titel Kommandeur des Sankt-Olav-Ordens. Seine letzten Romane wurden mit Preisen ausgezeichnet und Bestseller. 2021 erschien sein wunderbarer Roman über seine Ururgroßmutter, die Hebamme Marta Kristine. In seinem aktuellen Roman geht es mit einem anderen Familienmitglied aus der Vergangenheit weiter, und zwar mit dem Geigenbauer Lars.

Sein Großvater erzählte früher von ihm: Lars überlebte den Napoleonkrieg und landete nach Kriegsende bei den Engländern für einige Jahre in Gefangenschaft. Auf einem Gefangenenschiff lernte er einen französischen Geigenbauer und dessen Handwerkskunst kennen, so dass sein Leben eine weitere Wendung erfuhr. Denn seine Liebe zur Musik fand im Handwerk einen Ankerplatz.

Edvard Hoem gelingt eine eindrucksvolle Reise in die Vergangenheit, in der Menschen von Hunger, Armut und Kriegen bedrängt werden. Er beschreibt äußerst plastisch, wie Gunhild, Lars Ehefrau, für die Familie Geld verdienen musste. Zu diesem Zeitpunkt konnte Lars so gut wie keine Geigen mehr verkaufen. Also half sie mit vielen anderen armen Frauen, die umfangreichen Fischfänge für den Weiterverkauf zu waschen, einzusalzen und zu trocknen. Gunhild stand täglich im eiskalten Fjordwasser, wo sie in gebückter Haltung arbeitete, sich schwer heilende Wunden an den Händen zuzog und neben den unvermeidbaren Erkältungskrankheiten und auch Gicht bekam. Die schlecht bezahlte Arbeit begann im März und dauerte mehrere Monate.

Lars und Gunhild werden als ein gleichberechtigtes Liebespaar beschrieben, wobei die Frau zum Glück des Mannes das letzte Wort hat.

In Edvard Hoems Heimatland schreibt der Kritiker Jan O. Helgesen, Der Geigenbauer sei der schönste Roman des Herbsts. Hier hat er eventuell ein wenig untertrieben und die anderen Jahreszeiten außer Acht gelassen.

Edvard Hoem: Der Geigenbauer.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Antje Subey-Cramer.
Urachhaus, Oktober 2022.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 26,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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2 Kommentare zu “Edvard Hoem: Der Geigenbauer

  1. Ich kann mich der Begeisterung von Frau Bovenverk-Müller nur anschließen .
    Es mag am Anfang vielleicht etwas Zeit kosten, bis man am Schauplatz angekommen ist.
    Edvard Hoem verfügt über die
    Fähigikeit ,sowohl poetisch als auch sachlich, zurückgenommen und gleichzeitig klar und ohne Schnörkel zu schreiben.
    Man möchte, wenn das Buch am Ende angekommen ist, eigentlich dort bleiben-in dieser gleichermaßen wunderbaren und kargen Natur , bei diesen Menschen, in diesem ärmlichen Haus am Fjord.

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