Christoph Poschenrieder: Ein Leben lang

Schon als Kinder sind sie Freunde, und sie glauben, sie sind Freunde für ein ganzes Leben. Und während sie sich nach ihrem Schulabschluss auf Studium und Berufseinstieg konzentrieren, wird der Onkel von einem von ihnen ermordet. Abgesehen davon, dass sie ihrem verhafteten Freund unbedingt helfen wollen, stellen sie sich zwei Fragen: Kann man mit einem mutmaßlichen Mörder befreundet sein? Und kann man mit einem verurteilten Mörder befreundet bleiben?

Christoph Poschenrieder studierte Philosophie in München und Journalismus in New York. Sein beruflicher Werdegang begann als Journalist und Autor von Dokumentarfilmen. Der Weg zum literarischen Schreiben war irgendwann die logische Konsequenz, durch die bisher sieben Romane entstanden sind. In seinem aktuellen Roman Ein Leben lang arbeitet er den Parkhausmord in München auf. Ganz offensichtlich geht es ihm nicht um die Aufklärung eines Mordes in einem Indizienprozess sondern um den Freundeskreis des mutmaßlichen Mörders. Jeder von den fünf Freunden kann einfach nicht glauben, dass einer aus ihrer Mitte zu einem Mord fähig ist. Im Laufe des langen Prozesses lernen sie, dass ein Gericht allein auf Beweisanzeichen hin ein Urteil fällen kann.

Mit dem Kunstgriff der fragenden Journalistin erzählen die fünf Freunde, wie sie den Prozess und ihre Hilfsaktionen erlebt haben. Das Interview hat der Autor einseitig in Szene gesetzt, indem er die Fragen der Journalistin wegließ und nur die Antworten der Interviewpartner präsentiert. Die Fünf sind die einzigen, die einen Namen haben, während der Freund, der Anwalt und das Mordopfer namenlos bleiben. Ganz offensichtlich geht es nur um die Belastungsprobe der in Freiheit befindlichen Freunde. Sie sprechen zwar die gleiche Sprache, haben aber unterschiedliche Denkansätze und Anschauungen. Häufig fragen sie sich, ob ihre Freundschaft dieser Belastung standhalten kann. Inzwischen sind 15 Jahre vergangen und jeder, jede von ihnen steht mitten im Leben.

Bei der Lektüre spürt man, wie ihre Kämpfe gegen die Justiz Wunden geschlagen und Narben hinterlassen hat. Wie soll man auch als Laie verstehen, dass schon ein Motiv und selektive, manchmal auch konstruierte Indizien zu einem Fallstrick werden können. Der Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen klafft in diesem Fall sehr weit auseinander. Auch der Begriff Gerechtigkeit definiert sich bei der Lektüre neu. Die Auseinandersetzung mit der Arbeit der Justiz wird zu einem spannenden Psychogramm, das die Leserin, den Leser gedanklich noch eine Weile zu beschäftigen vermag.

„Nicht falsch verstehen: Ich hielt und halte ihn für unschuldig. Aber – es ist kompliziert. Mehr als das. Und jedes Jahr wird es komplizierter. Mir graut vor dem Tag, an dem er herauskommt. Warum? Sage ich Ihnen später. Vielleicht.“ (S. 129)

 

Christoph Poschenrieder: Ein Leben lang.
Diogenes, März 2022.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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