Christa Anita Brück: Ein Mädchen mit Prokura (1932)

Der Titel beschreibt schon die Ungeheuerlichkeit: Wie kann ein „Mädchen“ in einer Berliner Bank die Prokura haben und dies 1931 während der Bankenkrise? Viele arbeitslose Menschen leiden unter einer großen Not, die Familien hungern. In diesem Zusammenhang ist es fast schon verständlich, wenn die männlichen Angestellten dem unverheirateten Fräulein Thea Iken, fast dreißigjährig, groß, schlank und schön diese Position nicht gönnen.

Thea hatte bis dahin einen harten Weg hinter sich, und auch mit dem anfänglichen Lohn kann sie ihr Leben kaum finanzieren. Um nach ihrem Schwächeanfall nicht als schwächliche Frau angesehen zu werden, gesteht sie zögernd, seit Wochen nichts Warmes mehr gegessen zu haben. (S. 17)

Danach geht es mit ihr beruflich aufwärts. Thea bekommt zunächst die Handlungsvollmacht und nach drei weiteren, arbeitsintensiven Jahren die Prokura. Als Frau kann sie von ihrer Karriere kaum mehr erwarten.

„Man hütet sich, ihr behilflich zu sein. Man hütet sich, es mit ihr zu verderben. Der Weg der tüchtigen Frau ist immer der gleiche: Er führt über Feindschaft, Befremden, Misstrauen und Neid zu tragischer Isoliertheit.“ (S. 231)

Der Aufstieg von der Schreibkraft zur rechten Hand des Bankdirektors Brüggemann hat andere neidisch, eifersüchtig und missgünstig gemacht. Thea steht isoliert zwischen ihren Kollegen. Sie reden nur dann mit ihr, wenn es gar nicht anders geht. Sie schweigen, wenn sie sich nähert und tuscheln, wenn sie weitergeht.

Die Autorin Christa Anita Brück (1899 – 1958) hat mit ihrem zweiten Roman Mädchen mit Prokura erneut die wahren Arbeitsbedingungen der weiblichen Angestellten beschrieben, die teilweise auch die Eigenen waren. Als sie nach ihrer kaufmännischen Ausbildung in Berlin unter anderem als Sekretärin und Stenotypistin arbeitete, war sie massiver Ausbeutung und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Auch andere Autorinnen und Autoren begannen über diese Missverhältnisse zu schreiben. Vor hundert Jahren waren Frauen in der Gesellschaft Menschen zweiter Klasse. Sie hatten kaum Rechte, und eigenes Geld war eher eine Seltenheit. Diese Abhängigkeit zu durchbrechen, ging nur über Bildung und eine gehobene Stellung, die aus der üblichen Arbeit der Ehefrau, des ledigen Dienstmädchens hinausging.

Auf dem Höhepunkt des Gerichtsverfahrens, in dem Thea Iken eine Verurteilung droht, glaubt die erfahrene Prokuristin noch immer, über Interna schweigen zu müssen. Sie belastet sich mit Schweigen, um ihren ausbeuterischen Chef zu schützen. In der Presse wird sie bereits als schuldig verrissen. In diesem Moment lässt die Autorin Theas Nachbarin, eine junge Studentin, zu Wort kommen: „… Es ist Raubbau …, wenn ein Arbeitgeber das Leben einer Angestellten buchstäblich auffrist, wenn er sie von morgens früh bis abends spät hinter den Schreibtisch klemmt, wenn er … die Möglichkeit nimmt, neben dem beruflichen Leben auch noch ein … Privatleben zu führen.“ (S, 177, 178)

Die Autorin selbst rettet sich aus dieser Situation der Ausbeutung in eine Ehe. 1941 veröffentlichte sie einen weiteren Roman, der ihren eigenen Entschluss beschreibt und gleichzeitig politisch beziehungsweise gesellschaftlich konform war.

Es lohnt sich in jeder Hinsicht, diesen kurzweiligen, spannenden und so klar formulierten Roman zu lesen, denn auch heute befinden sich Frauen in einer scheinbar ausweglosen Situation.

Christa Anita Brück: Ein Mädchen mit Prokura
Rowohlt, ET 1932 / September 2023
256 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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