Ein Buch zur #MeeToo-Dabatte. Vier Juristinnen in einer Sportbekleidungsfirma in Dallas versuchen Kind und Karriere unter einen Hut zu bekommen. Doch sind es Männer in Schlüsselpositionen, die ihnen den Aufstieg verwehren, beziehungsweise selbigen von gewissen körperlichen Gefälligkeiten und Äußerlichkeiten abhängig machen. Folge: Bald kursiert in den Büros der Stadt die so genannte „BAD-Liste“ mit den Namen von Männern, die durch übergriffiges Verhalten negativ aufgefallen sind. Jede Frau kann entsprechende Namen eintragen, um andere Kolleginnen davor zu warnen.
Auch die drei Freundinnen Sloane, Ardie und Grace erhalten diese Liste. Dabei haben sie bereits alle Hände voll zu tun, sich als moderne Frau zu behaupten. Ardie ist frisch geschieden und alleinerziehend. Als übergewichtige Mittvierzigerin mit lateinamerikanischen Wurzeln muss sie sich gleich mehrfach mit Vorurteilen auseinandersetzen. Grace hat erst kürzlich ein Baby bekommen und fühlt sich nach der Rückkehr in den Beruf überfordert. In den Stunden, die sie im büroeigenen Stillzimmer mit dem Abpumpen ihrer Muttermilch beschäftigt ist, plagen sie Selbstzweifel. Sloane ist auf perfekte Außendarstellung bedacht. Ein dank Botox und Personal Trainer makelloses Aussehen, ein adretter Ehemann, die Tochter auf der Privatschule, ein ansehnliches Eigenheim, Luxusurlaub und Luxustäschchen… das volle Programm. Doch auch sie hat das Gefühl, ihrem Pensum nicht gerecht werden zu können. Noch dazu wo jüngere, hübschere und top ausgebildete Harvard-Absolventinnen wie Katherine in die Firma drängen. Soll sie diese fördern oder sich von ihnen bedroht fühlen? Weder noch. Schnell wird klar, dass die junge Frau vor allem beschützt werden muss. Denn ihr Chef Ames bekundet großes Interesse an Katherine. Mehrfach scheint er sie in persönlichen Meetings oder bei einem Feierabenddrink in unangenehme Situationen zu bringen. Sloane kennt dieses Spiel um Sex und Macht. Sie hat es selbst hinter sich, als sie vor über 10 Jahren mit Ames eine kurze Affäre hatte. Zu allem Übel kommt heraus, dass Ames nach dem Tod des bisherigen Geschäftsführers zum neuen CEO ernannt werden soll. Damit wäre er unantastbar.
So entscheidet sich Sloane, Ames Namen auf die BAD-Liste zu setzen und gemeinsam mit Ardie und Grace eine Klage wegen sexueller Belästigung gegen ihn einzureichen. Damit setzt sie eine Kettenreaktion in Gang. Ames stürzt vom 17. Stock des Firmengebäudes in den Tod. War es Selbstmord? Ein Abschiedsbrief fehlt, noch dazu wurden Blutspuren auf dem Balkon gefunden. Hat ihn jemand gestoßen? Wenn ja, wer?
Chandler Baker entwirft ein spannendes Mosaik aus Rückblenden und Puzzleteilchen. Der eigentliche Plot wird nach jedem Kapitel von den Befragungsprotokollen der Polizei unterbrochen, welche immer wieder ein neues Licht auf die Ereignisse werfen lassen. Denn jede der vier Frauen hat ihre Geheimnisse, die nicht mal ihre Freundinnen kennen. Ist gar eine von ihnen die Mörderin?
Ebenso spannend wie die klassische „Who did it?“-Frage liest sich die zweite Plotebene. Denn nach dem Tod von Ames geschieht das Unglaubliche: Die Stimmung kippt. Die Opfer werden zu Tätern, die Klägerinnen zu den Angeklagten. Plötzlich sind Sloane, Ardie und Grace „feministische Hexenjäger“, die einen Kollegen und Familienvater zu Unrecht beschuldigt und damit in den Selbstmord getrieben haben. Oder wie es Chandler Baker mit ihrem erfrischend sarkastischen Humor ausdrückt: „Keine noch so gute PR-Firma hätte eine effektivere Kampagne zur Wiederherstellung von Ames‘ Ruf inszenieren können als seinen eigenen Tod.“
Während sich in den schnieken Büros der Top-Anwälte wahre Dramen abspielen, könnte ausgerechnet die unscheinbare Rosalita zur Aufklärung des Falls beitragen. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Putzfrau bei Truviv. Sie sieht, was sich nach Feierabend in abgedunkelten Büros abspielt oder was in den Mülleimern vor anderer Leute Augen verborgen bleiben soll.
Chandler Baker ist ein spannender, aufwühlender und teilweise böse-sarkastischer Roman in der #MeeToo-Debatte gelungen. Sie legt die Finger auf die Schwachstellen des Systems. Opfer, die sich wehren wollen und am Ende gekündigt werden. Frauen, die trotz guter Ausbildung am Aufstieg scheitern. Ihr Plot ist psychologisch ausgefeilt und vielschichtig. Denn keinesfalls stellt die Autorin Frauen nur als die „guten Opfer“ dar. Auch unter Ihnen gibt es Charaktere, die sich mehr oder weniger auf das Spiel einlassen, um ihre Karriere zu beschleunigen. Loyalität zu den eigenen Geschlechtsgenossinnen versus Opportunismus in eigener Sache? Das ist hier die Frage. Und ist es manchmal nicht auch bequem, den leichteren Weg zu gehen?
Kritikpunkt: Auch wenn das Thema #MeeToo ein globales Thema ist, ist der Roman stellenweise sehr „amerikanisch“. Luxusproblemchen rund um die obligatorischen Louboutins samt blond toupierter Haare stoßen beim Lesen etwas säuerlich auf, spiegeln aber vermutlich das Gebaren der Südstaatenmetropole wider. Denn Chandler Baker weiß, worüber sie schreibt. Die Autorin hat selbst als Juristin in Dallas gearbeitet, musste ihre Tochter während ihrer Mittagspause in der Tiefgarage stillen und hat ihrem eigenen „Flüster-Netzwerk“ von Frauen, die sie vor übergriffigen Kollegen gerettet haben, einiges zu verdanken. Auch dürften sich insbesondere weibliche Leserinnen nach der Lektüre dieses Buches glücklich schätzen, in einem Land zu leben, in dem es Krankenversicherungen samt bezahlten Mutterschafts- und Erziehungsurlaub gibt.
Fazit: Ein spannender Roman mit emotionaler Sprengkraft, insbesondere für weibliche Leserinnen. Teilweise ziemlich amerikanisch, aber mit global universeller Message. Psychologisch ausgefeilt, mit vielschichtigen Charakteren und einer angenehmen Prise schwarzem Humor.
Chandler Baker: Whisper Network.
Heyne, März 2020.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.