Ist das nicht ein wunderbarer Buchtitel? Macht der nicht so neugierig auf dieses Buch, dass man es unbedingt lesen muss? Der Gegensatz in diesem Titel ist es, der ihn so interessant, so außergewöhnlich macht: die Eloquenz der doch angeblich stummen Sardine, der angeblich schweigsamen Fische. Die, und davon berichtet der Autor, gar nicht so stumm sind.
Bill Francois ist zugleich Wissenschaftler und Schriftsteller. Seine Leidenschaft, die man in jedem Satz dieses Buch spürt, gilt den Flüssen und Meeren und den darin wohnenden Lebewesen.
Auf unnachahmliche Weise erzählt der Autor von der Wunderwelt der Meeresbewohner, von den Sardinen, die ein von der Natur choreografiertes Ballett aufführen und dadurch ihr Leben retten, von den Austern, die das als Fremdkörper in sie eingedrungene Sandkorn so lange drehen und wenden, bis daraus eine Perle geworden ist. Er schildert die Einsamkeit des Wals, der eine andere Sprache spricht als alle anderen Wale und daher keine Gesellschaft findet.
Die Leserin lernt die Wege der Aale kennen, die Tausende Kilometer zurücklegen, um zu ihren Laichplätzen zu gelangen. Man erfährt, welche absonderliche und vielfältige Weisen es gibt, den eigenen Nachwuchs aufzuziehen. Und man meint, die Unterhaltungen der vielen Fischarten zu hören, von denen manche über Hunderte Kilometer hinweg kommunizieren können.
Das Buch ist eine geradezu lyrische Hymne auf die Unterwasserlebewesen. Aus jedem Satz klingt die Liebe des Autors zum Thema, jeder Satz ist voller Poesie. Der ganze Text hat etwas märchenhaftes, ja fabelhaftes im doppelten Wortsinn. „Es brummt und donnert, als schnarchte das Meer. … In diesem Schnarchen liegen das Bersten der Eisberge an den Polen, das Knirschen der Erdbeben am Rande der ozeanischen Rücken und das Atmen ferner Stürme.“ (S. 33).
Bill Francois berichtet außerdem von antiken Forschern, mittelalterlichen Irrtümern und modernen Wissenschaftlern. Er erzählt von den Methoden der Naturvölker, die Populationen ihrer maritimen Nahrungsquellen zu schützen, stellt die heutigen Zucht- und Fangmethoden diesen gegenüber. Dabei schafft er es, ohne erhobenen Zeigefinger, mit behutsamen Andeutungen und verschlungenen Zusammenhängen, dabei nicht weniger deutlich und klar, die Folgen unserer modernen Lebensweise für die Meeres- und Flussbewohner augenfällig darzustellen. „Dabei könnten wir, wenn wir uns nur die Zeit nähmen, den Geschichten des Meeres zu lauschen, daran mitschreiben. …Manche sind traurig. Wenn Sie dem Seebarsch lauschen, den ein riesiges Schleppnetz mitten im Winter zur Paarungszeit mit seinem gesamten Schwarm aufliest, … – dann hören Sie bedauernswerte Geschichten, in denen weit entfernte Bürokraten und skrupellose Lobbyisten das Meer an sich reißen und es bis auf den letzten Euro auswringen. (S. 130).
Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich ein Buch über Fische und andere Meeresbewohner einmal schneller verschlinge als einen hochspannenden Thriller, hätte ich ihn ausgelacht. Doch dieses Buch ist so poetisch wie ein Gedicht, so fesselnd wie ein Krimi, so unterhaltsam wie eine Komödie und so interessant und sachlich wie eine Dissertation. Bill Francois hat einen geradezu bezaubernden Schreibstil. Jetzt müsste nur noch jemand dieses Buch der Sardine vorlesen.
Bill François: Die Eloquenz der Sardine.
C.H. Beck, März 2021.
234 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.