Der Japaner Atsuhiro Yoshida (Jahrgang 1962) ist Coverdesigner und Schriftsteller. Er entwarf auch das Cover seines am 23. Oktober 2023 bei hanserblau im Carl Hanser Verlag erschienenen Buches „Gute Nacht, Tokio“. Katja Busson hat es aus dem Japanischen übersetzt.
Tokio bei Nacht
In zwölf Episoden erzählt Atsuhiro Yoshida von Menschen in Tokio, die um ein Uhr in der Nacht wach sind, arbeiten oder unterwegs sind. Allen voran Mitsuki Sawatari, eine Requisiteurin beim Film, die für Ihre Regisseure ständig nach Dingen suchen muss, die diese für ihre Filme unbedingt benötigen. In der ersten Episode ist es eine Biwa, die gelbe Frucht der japanischen Wollmispel. Zum Glück sind da Matsui, der nachts Taxi fährt und Koichi, Mitsukis Freund und Krähenexperte, der weiß, wo sie Biwas finden kann. Aber da ist noch jemand, der die Früchte pflückt: Kanako Fuyuki, die bei der Tokioter Telefonseelsorge arbeitet und ihren Bruder Ren sucht. Auch sie benötigt eines Nachts Matsuis Taxi-Dienstleistungen.
Shuro Tashiro, Schauspieler und Meisterdetektiv Palme, lässt sich von Matsui in ein abgelegenes Kino fahren, in dem alte Filme gezeigt werden, in denen Shuros Vater mitgespielt hat.
Und dann sind da noch Kisa, Yorië, Fumina und Ayano, vier Frauen, die das Bistro „Drehkreuz“ betreiben, in das Matsui regelmäßig nachts oder am frühen Morgen einkehrt. Eines Nachts nimmt er Kanako mit dort hin. Ayano denkt immer noch an einen Mann, der bei ihr immer „Ham & Eggs“ gegessen hat.
Außerdem tauchen in Yoshidas Episoden noch Ibaragi mit seinem Geschäft für gebrauchte Werkzeuge, Moriizumi, die Telefonapparateentsorgerin, Maeda, der Barkeeper mit seinem Whisky-Cola, und Eiko, die angehende Schauspielerin auf. Alle sind nachts wach und auch ein wenig einsam. Die Wege der Figuren kreuzen sich, sie verpassen oder treffen sich, sie lernen sich kennen oder kennen sich schon lange. Und über allem wölbt sich der schwarze Himmel von Tokio mit oder ohne Sterne und Mond.
Schlaflos (aber nicht sprachlos) in Tokio
Atsuhiro Yoshida hat mit „Gute Nacht, Tokio“ einen Episoden-Roman geschrieben. Er erzählt liebevoll-poetisch mit einer Prise Mystik von besonderen Menschen, deren Leben überwiegend nachts stattfindet, wenn alle anderen schlafen. Matsui, der Taxifahrer, ist das Bindeglied zwischen den Episoden. Er fährt die Frauen und Männer mit seinem Taxi durch die Nacht und hört sich ihre Geschichten an:
„»Ich befürchte…« sagte sie, während sie sich mit den Biwas auf dem Schoß im Fond des Taxis in die Polster sinken ließ, »ich schlafe gleich ein.« …
»Kein Problem. Schlafen Sie ruhig. Ich fahre Sie nach Hause.«
»Bloß nicht. Wenn ich jetzt ins Bett gehe, stehe ich nicht mehr auf. Fahren Sie einfach.«
»Wie Sie wünschen.«
Matsui warf einen Blick in den Rückspiegel.
Mitsuki hatte die Augen schon zu. Sie strich über den Ring, der an ihrer linken Hand funkelte. Einen Moment später war sie eingeschlafen. Sie sah aus wie ein unschuldiger Engel.
Auch die Stadt sank in einen kurzen Schlaf.“ (S. 23)
Aber auch der Meisterdetektiv bekommt von Yoshida eine besondere Rolle verpasst. Er sorgt für Kanako für ein Happy-End.
Es sind lichte, warme Momente, die sich Yoshida trotz dunkler Nacht ausgedacht hat. Yoshidas Sprache ist ästhetisch, die Dialoge lebensnah und lebendig. Seine Figuren verhalten sich ausgesucht höflich und respektvoll. „Gute Nacht, Tokio“ ist ein kleines, feines Buch, das seine Lesenden glücklich machen kann.
Atsuhiro Yoshida: Gute Nacht, Tokio.
Aus dem Japanischen von Katja Busson.
hanserblau, Oktober 2023.
192 Seiten, Gebunden, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.