Zwischen Essays & Abschweifungen: Proulx‘ „Moorland“ unter der Lupe
„Wir erkennen die langsamen Metamorphosen der Natur nicht, weil wir uns von ihr gelöst haben, abgesehen vom jährlichen Urlaub, vielleicht einer Fahrt in einen Nationalpark oder einer »Naturerlebnis«-Kreuzfahrt nach Galapagos oder in die Antarktis, wo unser kurzer Aufenthalt den Lebensraum weiter schädigt.“ (S. 20)
Das Buch ist optisch und haptisch wirklich bemerkenswert schön. Auch der Inhalt schimmert für mich voller poetischer und abwechslungsreicher Highlights: Das Gefühl an einem nebligen Sommermorgen, wenn wir in der Natur Wassertropfen verzierte Spinnennetze sehen.
Die Autorin erzählt von:
„Tümpeln mit Seerosen, deren einschläfernden Geruch kein Parfümeur je nachgeahmt hat.“ (S. 15)
… und von den Moorgebieten der Welt:
„… andere üppige, vielfältige Landschaften mit Farben, von deren Existenz wir modernen Städter nichts wussten: stilles sepiafarbenes Wasser, glänzende Moose, blasse Flechten, Sonnentau wie verschüttete Wassertropfen.“ (S. 33)
„Moorland“ ist ein kurzer Abriss der Geschichte der Feuchtgebiete der Erde, ihrer Zerstörung und der Notwendigkeit, sie zu erhalten und wiederherzustellen.
Diese Ökosysteme zählen zweifellos zu den artenreichsten auf unserem Planeten, beherbergen eine Vielzahl von Pflanzen, Insekten, Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Mikroorganismen. Die Wahrnehmung des Menschen beschränkt sich jedoch meist auf den fruchtbaren Boden für den Anbau von Nutzpflanzen.
„Wir haben uns gefährlicherweise einer weltweiten Gier hingegeben, die Biodiversität und Natur zerstört.“ (S. 18)
Proulx beschreibt eindringlich die Schäden, die der Mensch den Ökosystemen und den Lebensräumen der Wildtiere zufügt.
Dabei sind jedoch die Geschichte und Wissenschaft in dieser Lektüre dünn gesät. Denn die Essays liefern nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse, biologische Hintergründe, streifen historische Facetten und schildern eher die persönlichen Gedanken und Reflexionen der Autorin zu diesen Feuchtgebieten – versehen mit warnenden Hinweisen zur biologischen Vielfalt und Klimageschichte.
Gleichzeitig zeichnet „Moorland“ auch ein Bild des Zusammenhangs mit der Klimakrise und betont die Bedeutsamkeit von Bewusstseinsbildung in diesem Kontext.
Für mich persönlich war es beim Lesen allerdings schwierig, begierig dranzubleiben, unzusammenhängende Tangenten zu verfolgen und habe dann irgendwie den Fokus verloren. Doch nach Annie Proulx‘ eigener Definition besteht dieses Büchlein aus einer Sammlung eng miteinander verbundener Essays.
Auf mich wirkt Proulx‘ Erzählung eher lose und wenig fesselnd. Die auf einem „persönlichen Essay“ basierende Recherche führt zu einer eher abschweifenden als zielgerichteten Sammlung von Anekdoten, wodurch das Werk leider nicht sein volles Potenzial entfalten kann.
Annie Proulx: Moorland: Plädoyer für eine gefährdete Landschaft.
Aus dem Englischen vonThomas Gunkel.
Luchterhand Literaturverlag, Oktober 2023.
223 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Olivia Grove.