„Steinerne Mienen, steife Rücken, angespannte Stille. Im Büro der Staatsanwältin knisterte die Luft, sie war aufgeladen mit kaum verhohlener Wut. Pal Palushi sieht seinem Klienten nach. Trotz Handschellen und Fußfesseln wirkte Mustafa Saifullah unbekümmert …“ (S. 7)
Pal Palushi hat in einen Sack voller Giftschlangen gegriffen: Er wird Pflichtverteidiger eines Entführers, der die Aussage verweigert, und die Staatsanwältin missbraucht ihr Amt, um mit Pal alte Rechnungen zu begleichen. Während die Medien alles über die Entführung von Lara Blum, der Tochter eines Millionärs, ausbreiten, der Polizei Ermittlungsansätze fehlen, wird Pal in seiner Berufsehre öffentlich angegriffen. Wie kann ein Anwalt einen muslimischen Entführer verteidigen?
Um Lara zu retten, bringen sich Pal und seine Freundin Jasmin in Gefahr.
Petra Ivanov hat bereits über Jasmin Meyer, inzwischen Ex-Polizistin, und den Anwalt Pal Palushi drei Kriminalromane geschrieben, in denen das ungleiche Paar ermittelt. Im neuen Fall tauchen beide in das Milieu der strenggläubigen Muslime ein, die mit ihren Doktrin Glaubensbrüder radikalisieren.
Im Fokus stehen Pals Gewissensbisse. Als Pflichtverteidiger muss er die Rechte seines Mandanten wahren. Und wenn er sich an seine anwaltliche Schweigepflicht hält, wird Lara vermutlich sterben. Natürlich geht ihm Schicksal der jungen Frau unter die Haut, denn seine Freundin Jasmin war ebenfalls Opfer einer Entführung. Er weiß, wie schlimm es werden kann. Dieses Wissen bringt ihn in ein folgenreiches Dilemma.
Die Autorin führt ein Rechtssystem vor, das man als variabel beschreiben könnte. Sie zeigt eine Schweizer Polizei, die auf die Hilfe der Bevölkerung angewiesen ist. Aber auch andere benötigen Hilfe, um sich im Dickicht der Manipulationen zurechtzufinden. Denn Wahrheit ist relativ geworden.
Die Dramaturgie der Handlung spiegelt den Zermürbungskrieg aller Beteiligten wider. Wohin die Reise geht, verwundert deshalb nur teilweise. Trotzdem: Petra Ivanov hat unterhaltsam und kurzweilig ein aktuelles Problem aufgegriffen. Die schnelle Vorverurteilung in gut oder böse ist in der kleinsten Zelle der Gesellschaft angekommen. Denn in der Familie werden die Folgen der Hetze ausgetragen, manchmal ohne Sinn und Verstand.
Petra Ivanov: Entführung.
Unionsverlag, August 2019.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 26,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.