Peter Zantingh: Nach Mattias

„Die Tage danach bestanden aus Stunden, Minuten und Sekunden, müssen sie wohl, denn so ist es immer, aber ich war nicht dabei. Ich habe nichts davon mitbekommen.“ Mattias stirbt völlig unerwartet und hinterlässt ein zutiefst traumatisiertes Umfeld. In einzelnen Kapiteln wird die Zeit danach aus Sicht der Freundin, des besten Freundes, der Mutter, Großeltern und weiteren Personen geschildert. Sie alle trauern höchst unterschiedlich, sie alle haben eine eigene Sicht auf Mattias. Mit jedem Kapitel formt sich der Verstorbene zu einem immer komplexeren Charakter. Gleichzeitig nähert sich der Plot mit jedem Puzzleteilchen der Frage, welche die ganze Zeit unbeantwortet im Hintergrund lauert: Wie und warum ist Mattias gestorben? All dies liest sich auf subtile Weise spannend, ohne reißerisch geschrieben zu sein. Im Gegenteil, es ist gerade der unbarmherzige Fortgang des Alltags, der uns Lesern die emotionale Ausnahmesituation vor Augen führt.

Eine dieser alltäglichen Situation kommt mit der Post. Denn eine Woche „nach Mattias“ wird das von ihm noch vor seinem Tod bestellte Fahrrad angeliefert. Da steht es nun, wie ein stilles Mahnmal mitten im Wohnzimmer. Beim Saubermachen fällt ein Buch zu Boden, das Lesezeichen fällt heraus. Mattias Freundin bricht darüber in Tränen aus, weil sie nun nicht mehr weiß, welche Seite er zuletzt gelesen hat. Mal ist es ein Song auf einem Konzert, mal ein unvollendetes Projekt, das die ihm nahestehenden Personen umtreibt.

Der niederländische Schriftsteller Peter Zantingh bedient sich bei der Charakterzeichnung seiner titelgebenden Hauptfigur eines vielschichtigen Kaleidoskops aus persönlichen Rückblicken. Immer wieder kommen Personen darin vor, die scheinbar kaum oder gar nichts mit Mattias zu tun hatten. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Erst nach und nach lichtet sich das Konstrukt des menschlichen Miteinanders, die Kausalität zwischen Ursache und Wirkung. Fazit: Manche Menschen können auch nach ihrem Tod noch einiges bewegen.

Mattias selbst wird – aus dem verklärt nostalgischen Blick der Trauernden heraus – als wahre Lichtgestalt dargestellt. Zahlreiche Menschen kommen zu seiner Beerdigung, die Anteilnahme ist groß. Er war ein guter Zuhörer, ein Träumer, der sich in andere hineinversetzen konnte. Kreativ ist er gewesen, mit einem Faible für Musik. Sein großer Traum bestand darin, ein Café namens „Playlist“ zu eröffnen. Der Clou: Jeder Gast sollte auf seinem Kassenbon eine Playlist vorfinden mit den Musikstücken, die während seines Cafébesuchs in Hintergrund liefen.

Dennoch erhält der auf ein Podest erhobene Charakter in leisen Momenten auch Risse. Seiner Freundin wirft er vor, nicht mutig genug zu sein. Bei seiner Mutter hat er sich monatelang nicht gemeldet. Die finanzielle Kalkulation seines Cafés überfordert ihn.

Doch all das blitzt nur rudimentär hinter seinen positiven Eigenschaften hervor, welche sich die anderen vor Augen halten, um von eigenen Gefühlen wie Schuld, Wut und Ohnmacht abzulenken.

So schwer die Thematik auch klingen mag, so schafft es der Autor gleichzeitig, wunderschöne und hoffnungsvolle Momente in den Plot einzubauen. Wir werden Zeuge der schrittweisen mentalen Genesung bestimmter Hauptcharaktere. Wie verfolgen, wie sie nach und nach zurück ins Leben finden. Mit all seiner Zuversicht, Schönheit und Freude.

„Nach Mattias“ ist ein Buch, das uns die emotionale Achterbahnfahrt der Zurückgebliebenen hautnah fühlen lässt. Zantingh erweist sich als präziser Beobachter, der berührende Situationen zu erschaffen weiß. Dass uns Leser der Verlust von Matthias bald ebenso trifft, zeugt vom Können des Autors. Die Auflösung seiner Todesursache bringt noch eine gesellschaftspolitische und psychologische Komponente mit ein. Der Roman ist traurig und lebensbejahend zugleich. Er zeigt, dass der Tod nicht das Ende ist. Denn „nach Matthias“ entstehen neue Freundschaften, Lebensentwürfe und Pläne, die sogar direkt aus dem Unglück hervorgegangen sind. Dieser Roman zeigt: Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt. Sie überlebt.

Peter Zantingh: Nach Mattias.
Diogenes, Februar 2020.
240 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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