Celeste Ng: Die verschwundenen Herzen

Bird ist 12 Jahre alt. Er lebt mit seinem Vater in Havard. Vor 3 Jahren hat seine Mutter sie verlassen und seitdem ist die Welt nicht besser geworden. Eines Tages erhält Bird einen geheimnisvollen Brief von ihr und macht sich auf die Suche in einer Welt, die leider nicht so furchtbar weit von unserer entfernt ist.

Als Bird gerade erst geboren war, setzte sich in den USA die Meinung durch, die chinesische Wirtschaft sei schuld daran, dass man in Amerika nicht mehr so richtig zu Potte kommt. Nach und nach übertrug man „schlechte chinesische Wirtschaft“ auf „schlechte chinesische Menschen“ und warf dabei fröhlich alle Menschen asiatischer Herkunft in einen Topf. Nach nunmehr 10 Jahren ist dabei eine Welt voller Angst und Misstrauen herausgekommen. Birds Mutter, eine Dichterin, ist Asiatin und auch ihm ist die teilasiatische Herkunft anzusehen. Sein Vater musste aus dem früher bewohnten Haus ausziehen und lebt mit Bird in einer winzigen Wohnung, jeden Tag voller Angst, seine Vergangenheit könne ihm zum Verhängnis werden und er seinen – schlechten – Job und Bird verlieren.

Aber was hat er denn getan? Er liebte eine Frau, die Asiatin war und Gedichte schrieb. Kraftvolle Gedichte. Gedichte, die etwas bewirkt haben vor Jahren. Eine Frau, die die Wut von Staat und Pöbel auf sich zog, weil ihre Gedichte stark waren. Eines ihrer Gedichte, nein eigentlich nur eine Zeile daraus, „unsere verschwundenen Herzen“ wurde zum Schlachtruf des Widerstands. Eines Widerstands, der sich im Stillen organisiert, dessen Underground Railroad die Bibliotheken sind und der nicht Menschen versteckt, sondern sucht. Denn das ist einer der Gründe für die im Staat vorherrschende Angst: politisch nicht genehmen Eltern – auch Elternteilen – werden die Kinder weggenommen und in politisch stabile Familien auf Nimmerwiedersehen verbracht.

Celeste Ng hat einen unglaublich eindringlichen Roman geschrieben über eine USA, die die Freiheit verloren hat. Die Eindringlichkeit speist sich zum Teil aus der Sicht des 12-jährigen Bird, der vieles erst nach und nach versteht. Anders als bei Romanen, die das Thema Schreckensherrschaft aus der Geschichte heraus behandeln, weiß der Leser eben nicht mehr als Bird. Mit ihm gemeinsam versteht er nach und nach, was da vorging und vorgeht. Manchmal ist Birds Blick auf die Dinge kindlich naiv und gerade das lässt den Leser dann fassungslos zurück.

Die Autorin hat die zu hassende Gruppe mitnichten willkürlich gewählt. Die USA haben eine recht lange Tradition darin, in Asiaten das Schlechte zu sehen. Eigentlich erstaunlich für ein Einwanderungsland. Einst kamen sie wie alle anderen wegen des Goldrauschs und des Eisenbahnbaus, von Anfang an gab es rassistische Gesetze gegen Chinesen, bereits 1882 wurde ihnen die Einreise für mehr 60 Jahre verwehrt, das galt auch für Familienzusammenführungen. Anfang der 1940er Jahre besserte sich die chinesische Situation etwas, dann kam Pearl Harbor, der Korea-Krieg, der Vietnam-Krieg und 2020 dann Corona aus China. Auch wenn Gesetze und ihre Organe Chinesen, Japaner, Koreaner voneinander unterscheiden, tun es die Menschen vermutlich nicht immer. Wie auch, für den gemeinen Weißen sehen alle Asiaten gleich aus. So ist auch in „Unsere verschwundenen Herzen“ aus der Wut auf China eine Wut auf alle asiatischen Menschen geworden.

Erschreckend.

Celeste Ng: Die verschwundenen Herzen.
Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Jakobeit.
dtv, Oktober 2022.
400 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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