André Aciman: Call Me By Your Name

Ein heißer Sommer in Italien, zwei Männer, die sich ineinander verlieben. Im Jahr 2007 wurde „Call me by your name“ erstmals veröffentlicht. 2017 folgte die Verfilmung durch Regisseur Luca Guadagnino, auf der diesjährigen Oscarverleihung gab es die Goldtrophäe für das beste Drehbuch. Nun die literarische Neuauflage – gut so! In den vergangenen 11 Jahren hat sich viel getan, nicht nur durch die „Ehe für alle“. Dies sollte es der Leserschaft ermöglichen, dem Buch unvoreingenommen zu begegnen. Der homoerotische Aspekt ist hier nicht primär ausschlaggebend. Es geht um eine universelle Liebe, die Verschmelzung zweier Menschen. Ruf mich bei deinem Namen, dann ruf ich dich bei meinem. „Ich will dich erfahren und durch dich auch mich!“ Es geht hier um nichts Geringeres, als um eine der schönsten, intelligentesten, emotionalsten Lovestorys aller Zeiten!

Duftender Rosmarin, wogende Palmwedel, das Meer zu Füßen und dazu eine „Stille, die sich wie ein leichtes Leinentuch über einen glutheißen Tag legte“: Der siebzehnjährige Elio verbringt im Jahr 1983 wieder einen Sommer im Ferienhaus seiner Eltern an der italienischen Riviera. Elio lebt privilegiert, sein Vater ist Hochschulprofessor. In den Ferien transkribiert er Musikstücke auf dem Klavier, liest, schwimmt, spielt Tennis, geht mit Freunden aus und verbringt viel Zeit mit sich allein. In seiner Intellektuellenfamilie gehen kluge Köpfe ein und aus. Doch mit dem leichten Leben ist es schlagartig vorbei, als Harvard-Absolvent Oliver für sechs Wochen bei ihnen wohnt, um sein Buch über Heraklit zu beenden und Elios Vater bei der Arbeit zu unterstützen. Sofort fühlt sich Elio magisch von Oliver angezogen. Der 24jährige Amerikaner wirkt schroff und doch charmant, weltgewandt und mysteriös. Elio weiß seine Blicke nicht zu deuten.

Nun folgt eine der schönsten Beschreibungen jenes haltlosen Taumels zwischen „zu Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt“. Nach und nach entdecken die zunächst grundverschiedenen Männer immer mehr Gemeinsamkeiten. Doch auf unbeschwerte Stunden folgen Tage gegenseitiger Ignoranz, auf vage Andeutungen abrupter Rückzug. Beide gehen Beziehungen zu Frauen ein. Bis Elio das Schweigen bricht und Oliver an seinem Lieblingsplatz – einem Malplatz von Claude Monet – seine Gefühle offenbart. Oliver erwidert Elios Zuneigung und die beiden beginnen eine leidenschaftliche Beziehung, an der sie reifen, sich reiben, sie selbst werden.

„Was mich am meisten erregte, war die Durchlässigkeit, die Austauschbarkeit unserer Körper.“ Es sind Sätze wie diese, die das Buch zu etwas ganz Besonderem machen. Autor André Aciman besitzt die Gabe, uns erzählerisch ganz nah an die Emotionen der Protagonisten heranzuführen und gleichzeitig als allwissender Erzähler über die Dinge zu sinnieren. Dabei ist klar: Eine solche Leidenschaft kann nicht für immer sein. Außer der Liebe gibt es noch das Leben. Das wartet auf Oliver am Ende des Sommers in Amerika, während sich Elio auf die Universität vorbereiten muss.

Die Sprache des Buches ist eine einzige Verheißung. Bereits das sommerliche Setting in Italien, umgeben von schönen Künsten und nicht minder attraktiven Künstlern, ist wie geschaffen, um sinnliche Fantasien zu bedienen. Eine seidenglatte Fußsohle, die zarte Couleur kaum gebräunter Unterarme, eine erotische Zweckentfremdung von Obst – in erlesenen Bildern arbeitet André Aciman die Erotik ab. Auch die plastischeren Sexszenen wirken nie obszön.

„Call me by your name“ ist keine Coming-out-Geschichte. Der Plot vermeidet Schubladendenken. Elio begehrt Männer und Frauen gleichermaßen, er beginnt den Wechsel zu genießen. „Wir sind nicht für ein einziges Instrument komponiert“, heißt es im Buch. Stattdessen verfolgen wir eine Coming-of-Age Story über die große, einzige, wahre Liebe. Die so übermächtig ist, dass alle verflossenen oder kommenden Liebschaften in „vor oder nach X“ eingeteilt werden. Das Buch weckt nostalgische Gefühle an das erste Verliebtsein, das uns mit Gefühlen konfrontiert, denen wir uns nicht gewachsen fühlen. Der Kitzel schrankenloser Offenheit. Wie zwei Drähte, die Funken sprühen, sobald sie sich berühren. Sich endlich wahrhaftig selbst zu sehen, durch die Augen eines anderen. „Wir hörten auf, zwei Männer zu sein, waren nur noch zwei Menschen. Ein wunderbar egalitärer Moment“.

An alle Cineasten: Buch und Film harmonieren ebenfalls bestens miteinander. Manche Details wurden abgeändert, so hat Regisseur Luca Guadagnino den Film zum Beispiel in seiner Heimatstadt Crema in der Lombardei gedreht, statt an der ligurischen Küste. Auch endet die Verfilmung kurz nach dem besagten Sommer, während das Buch Elio und Oliver über einen Zeitraum von weiteren 20 Jahren begleitet. Nun soll die restliche Geschichte in Teil zwei verfilmt werden. Mit diesem durchschlagenden Erfolg hätte wohl niemand gerechnet. Neben dem Oscar regnete es zahlreiche Filmpreise, vor allem für Elio-Darsteller Timothée Chalamet, der besonders unter weiblichen Kinostars wie Jennifer Lawrence als neues Sexsymbol gehandelt wird. Damit bestätigt sich ein seit Jahren ankündigender Trend, nachdem Hollywood-Haudegen wie Sean Penn und Matthew McConoughey für ihre Rollen als Gay-Aktivisten gefeiert wurden und neuerdings sogar Terminator Arnold Schwarzenegger ins Charakterfach wechselt, um nebenbei als Veganer über Umweltschutz zu philosophieren! Die harten Kanten der Maskulinität werden ausgehobelt, weicher gemacht, verschwimmen manchmal sogar ganz. Auch deshalb kommt die Neuauflage von „Call me by your name“ genau zur richtigen Zeit.

Resümee: André Aciman hat eine große Lovestory zu Papier gebracht. Wie der schönste Sommer unserer Jugend, von dem wir hofften, er möge nie zu Ende gehen. Das Leben liegt wie eine süße Frucht vor uns und trägt doch bereits den bitteren Beigeschmack der Vergänglichkeit in sich. Manche der wundervoll formulierten Sätze schreien geradezu danach, ins Poesiealbum geklebt zu werden. Wenn je eine Liebesgeschichte die Bezeichnung bittersüß verdient hat, dann diese!

André Aciman: Call Me By Your Name.
dtv, Februar 2018.
288 Seiten, Taschenbuch, 10,90 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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