Alba De Céspedes: Das verbotene Notizbuch

Aus einem Impuls heraus kauft Valeria, als sie für ihren Mann Zigaretten holen geht, ein Notizbuch mit schwarzem Einband. Um in Ruhe ihre ersten Eintragungen vornehmen zu können, spendiert sie Mann und Kindern Karten zu einem Fußballspiel. In den darauffolgenden Wochen und Monaten findet sie nur nachts, wenn alle anderen schlafen, Gelegenheit, ihre Erlebnisse und Überlegungen zu notieren und führt fortan führt sie ein Doppelleben. Niemand darf erfahren, dass sie ein Tagebuch führt.

Valeria lebt mit ihrem Mann Michele und ihren zwei fast erwachsenen Kindern in einer kleinen Wohnung im Rom der Nachkriegsjahre. Die Familie hat sich einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet, und um den Kindern Schule und Universität zu ermöglichen, hat auch Valeria eine Arbeit in einem Büro angenommen.

Die Aufzeichnungen verhelfen ihr zu einem klaren Blick auf ihr Leben. Sie beginnt, über ihr Verhältnis zu ihrem Mann nachzudenken, erforscht, wie es dazu kam, dass sie in der Familie schon lange nicht mehr mit ihrem Namen – Valeria – angesprochen wird, sondern nur noch mit „Mama“. Sie realisiert, dass sie nicht mehr als Frau gesehen, sondern auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau reduziert wird. Das gängige Klischee, dass der Mann das Sagen und die Frau sich unterzuordnen hat, trägt sie wie einen Schutzschild vor sich her. Sie erkennt zugleich, in welche Rolle sie sich hat drängen lassen und welchen Anteil sie selbst daran hat. Sie reibt sich auf, ist immer auf den Beinen, opfert sich für Mann und Kinder und zieht gerade daraus eine quälende Befriedigung. Wohl deshalb empfindet sie die Abnabelung ihrer Tochter, welche ein anderes Leben führen will als das von der Mutter, als besonders schmerzhaft.

Alba de Céspedes wurde 1911 in Rom geboren, ihre Mutter war Italienerin, ihr Vater kubanischer Diplomat und für wenige Monate auch Präsident des Landes. „Das verbotene Notizbuch“ ist ihr vierter Roman und erschien 1953. Wie schon in den vorangegangenen Veröffentlichungen thematisiert sie auch in diesem Buch das Rollenbild der Frau. Die Protagonistin Valeria fungiert als Bindeglied zwischen der alten Zeit, in der Frauen ausschließlich den Haushalt führten und ihre Berufstätigkeit als Schande für den Mann angesehen wurde, und den jungen selbstbewussten Frauen, verkörpert durch ihre Tochter Mirella, die unabhängig sein und eigene Ziele verfolgen wollen. Mit ihrer Arbeit im Büro ist Valeria unter den Frauen ihres Alters eine Ausnahme. Gleichzeitig, und auch das wird ihr beim Schreiben klar, gewährt ihr diese Arbeit eine Auszeit von der Familie, ein Refugium, zu dem weder Mann noch Kinder Zutritt haben.

Ich habe Alba de Céspedes‘ Schreibstil als nüchtern empfunden, passend zur Bestandsaufnahme. Sie schreibt in klaren Worten, unverschnörkelt, die Aufzeichnungen von Valeria sind von Bitterkeit durchdrungen und von Resignation. Der Roman ist eine Analyse des Lebens von verheirateten Frauen in einer Zeit des Umbruches. Es ist keine Geschichte aus einer längst vergangenen Zeit, das Rollenklischee greift nach wie vor, der Umbruch ist auch jetzt im 21. Jahrhundert längst noch nicht vollzogen. Weniger optimistische Beobachter würden sagen, dass er stagniert. Vieles von dem, was Valeria über sich und ihre Rolle als berufstätige Hausfrau und Mutter konstatiert, ist auch mir nicht fremd. Die wichtigste Erkenntnis besteht für mich in dem Gedanken, dass wir die Gitter, hinter denen wir uns befinden, nicht niederreißen können, weil sie in uns sind. Ich stelle mir die Frage, ob wir tatsächlich nicht können oder ob wir nicht wollen, weil es im Gefängnis auch recht bequem ist.

Alba De Céspedes: Das verbotene Notizbuch.
Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull.
Insel Verlag, Oktober 2021.
302 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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Ein Kommentar zu “Alba De Céspedes: Das verbotene Notizbuch

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