Stephen Buoro: Andy Africa

Der in Nigeria geborene Autor Stephen Buoro (Jahrgang 1993) lebt in Norwich, UK und hat seinen ersten Roman geschrieben. „Andy Africa“ ist am 12. September 2023 in einer Übersetzung von Volker Oldenburg im Rowohlt Verlag erschienen.

Ein afrikanischer Superheld auf der Suche nach Glück

In Stephen Buoros „Andy Africa“ sucht der fünfzehnjährige Andrew Aziza sein Glück. Andrew bekommt von seiner Mathematiklehrerin Zahrah den Namen „Andy Africa“ verpasst, weil sie findet, dass es ein schöner Name ist und er perfekt zu Andrew passt. Andrew hingegen ist sich da nicht so sicher. Er ist klug, schreibt Gedichte und liebt weiße, blonde Mädchen mit Pferdeschwanz. Andy ist fasziniert von den USA und Europa. Sein Schulkamerad Okey flüchtet nach Spanien und schickt begeisterte Nachrichten von dort. Andy und seine Mutter Gloria sind Christen.

Sie leben in Kontagora im überwiegend muslimischen Norden Nigerias. Ursprünglich stammen sie aus Ososo im Süden des Landes. Gloria arbeitet als Fotografin. Sie sagt Andy nicht, wer sein Vater ist. Er besucht die katholische Schule von Father McMahon und Sister Lakefield. Andy ist mit der Muslima Fatima befreundet. Seine „Droogs“ oder die „Scadvengers“  (von Avengers, Marvels Superhelden), Morocca und Slim sind seine besten Freunde. Und Ydna, sein älterer Bruder, der bei der Geburt starb und mit dem er Zwiegespräche führt. Auf einer Gemeindefeier lernt er Eileen, eine Nichte von Father McMahon aus England, kennen. Weiss, blond und sehr hübsch.

Andy verliebt sich unsterblich. Bei schweren Ausschreitungen werden die Gemeindemitglieder von Muslimen überfallen, Andys Mutter wird schwer verletzt. Andy besucht Eileen in Nigerias Hauptstadt Abuja, bevor sie zurück nach England fliegt. Dort lernt er auch den Zwillingsbruder seiner Mutter kennen. Onkel William ist Priester. Eileen reist nach Norden in den Niger. Andy und seine Droogs nehmen Kontakt zu einem Schlepper auf, der sie nach Europa bringen soll. Als sie endlich das Geld zusammen haben, machen sie sich auf zu einer gefährlichen Reise durch die Wüste.

Ein Coming of Age im Postkolonialismus

Stephen Buoro hat das afrikanische Nigeria, in dem er selbst geboren wurde, zum Schauplatz seines ersten Romans gemacht: Nigeria gehört zu den bevölkerungsreichsten Ländern in Afrika und war bis 1960 britische Kolonie. Nach der Unabhängigkeit wechselten sich demokratische und Militärregierungen ab. Die Sicherheitslage ist heute aufgrund hoher Kriminalität und Staatsschulden, Polizeigewalt und religiöser Intoleranz fragil. In diesem Kontext wächst Stephen Buoros Protagonist Andrew Aziza auf. Er träumt von einem anderen Leben. Für ihn ist Afrika ein „beschissener, verfluchter Kontinent mit Gari (Maniokprodukt), Schlaglöchern und vierzig Grad Hitze“.

Die blumigen und falschen Versprechungen aus dem Internet von Reichtum, Glück und Erfüllung im wohlhabenden Westen fallen bei den Jugendlichen auf fruchtbaren Boden. Sie erleben Gewalt, Armut und Machtlosigkeit am eigenen Leib. Stephen Buoro hat Mathematik studiert, seine Figur Andy hat eine Begabung für Mathe. Besonders der Begriff Permutation, die Anordnung von Objekten, hat es ihm angetan. Und für Poesie. Sie gibt ihm Hoffnung:

„die schläge kamen

wie kakteen, wie haken, wie nägel

eine träne

tropfte

aus

meinem

auge

in den sand

und

der sand schrie auf“ (S. 79 aus dem Kapitel II Die Geisselung)

Als seine Mutter stirbt und er endlich erfährt, wer sein Vater ist, will er endgültig fort aus Nigeria.

Gott und HXVX

In Anlehnung an die Leidensgeschichte Jesu heißt der englische Titel der Originalausgabe „The Five Sorrowful Mysteries of Andy Africa“. Die Überschriften der fünf Kapitel des Buches spielen auf die Stationen bis zur Kreuzigung Jesu an. Religion und Glaube werden von Stephen Buoro in ihrer Doppelbödigkeit (von Gut und Böse) entlarvt. Das Böse scheint Afrika („the curse of Africa“, Andy nennt es HXVX) vollends im Griff zu halten.

Stephen Buoro erzählt Andy Africas Geschichte mit einer frischen und jungen Stimme. Sein Andy Africa steht für viele afrikanische Jugendliche, die heute ihr Heil und das ihrer Familien in der Flucht nach Europa sehen. So ist „Andy Africa“ von Stephen Buoro ein brandaktueller Roman über einen brodelnden Kontinent mit verzweifelt, hoffnungsvollen Menschen. Bitte lesen!

Stephen Buoro: Andy Africa.
Aus dem Englischen von Volker Oldenburg.
Rowohlt Hundert Augen, September 2023.
416 Seiten, Gebunden, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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