Philipp Winkler, ein 1986 geborener Autor hat ein Händchen für Außenseiter. In „Carnival“ (2020) galt seine Aufmerksamkeit denjenigen, die eine Kirmes am Laufen halten – dem „fahrenden Volk“ -, in seinem neuen Werk „Creep“ sind es zwei Menschen, die Probleme im Umgang mit anderen Menschen haben.
Da ist zunächst Fanni, die in einer deutschen Firma für Überwachungstechnik arbeitet. Sie hat eine Lieblingsfamilie, die Naumanns, mit denen sie per Fernüberwachung gemeinsam isst und lacht, ohne dass die Familie etwas davon weiß. Ansonsten kommt sie weder mit ihren Eltern, noch mit ehemaligen Freundinnen und Freunden klar.
Und da ist der Japaner Junya, der nur nachts sein Zimmer verlässt, um Gewalt-Exzesse auszuüben, die er dann im Darknet in der Hoffnung streamt, möglichst viele Likes zu bekommen. Die beiden sind „creepy“ – etwas gruselig.
In dem Werk steckt natürlich ein dicker Batzen Gesellschaftskritik – genauer: Kritik an einer hypermodernen Gesellschaft, die sich durch den Umzug in digitale Welten selbst deformiert und es verlernt hat, im richtigen Leben – ohne Bildschirm zwischen sich und der Außenwelt – klarzukommen. Beide Figuren sind vorgeschädigt: Junya wurde in der Schule schwer gemobbt, Fanni hatte Probleme mit ihren Eltern, sodass sich über die Jahre in ihren Köpfen ein unguter Mix zusammengebraut hat.
Man muss zu Anfang trotz aller Sprachgewandtheit des Autors etwas reinkommen in dieses Buch. Winkler wirft mit Fachausdrücken aus der Internet-Welt derart um sich, dass wohl nur Experten immer wissen dürften, um was es genau geht. Auch wird das Lesen durch ein sehr penetrantes Gendern erschwert.
„Creep“ wechselt zum Ende hin übrigens fast sein Genre. Es entwickelt sich vom Gesellschaftsdrama zum handfesten Thriller, bei dem man gebannt die Seiten umblättert.
Philipp Winkler: Creep.
Aufbau Verlag, Januar 2022.
342 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.