Muriel Spark: Memento Mori (1959)

Diogenes hat den 1959 erschienenen Roman “Memento Mori” von Muriel Sparks neu übersetzt herausgebracht. In meiner Erinnerung handelte das Buch von einem Haufen alter Leute, die körperlich, mental und finanziell in unterschiedlichen Ligen spielen, letztlich aber alle durch Arteriosklerose, Endokarditis, Schlaganfälle oder Gehirnblutung zu Pflegefällen werden oder sterben. So ganz hat mich meine Erinnerung nicht getrogen, auch ist immer noch der Hobby-Gerontologe Alec Warner mein Liebling, der sein Umfeld auf Hinweise auf die Art des Alterns hin befragt, beobachtet und auf unsensible Weise zu Versuchsobjekten macht.

So schreibt er seinen Freunden Briefe, in denen er ihnen Hiobsbotschaften mitteilt und informiert zum Beispiel Guy, dass Percy dessen Memoiren gelesen hat und sehr aufgebracht über deren Inhalt ist. Verbunden mit dieser Mitteilung an Guy ist die Bitte, dieser möge Percy bei dessen Besuch und der erwarteten Aussprache den Puls messen, die Temperatur überprüfen und Gesichtsfarbe, Redeweise und Aussprache beobachten und protokollieren.

Die umfangreichen Aufzeichnungen Alec Warners werden im Verlauf des Romans verbrennen und Alecs Lebens- bzw. Alterswerk wird damit vernichtet. Zu Beginn des Romans lernen wir Gorfrey Colsten, den ehemaligen Direktor der Colston-Brauerei kennen, er ist 87 Jahre alt. Verheiratet ist er mit der dementen Autorin Charmian, die versucht, nach einem Leben als erfolgreiche Schriftstellerin ihre Gedanken in eine alphabetische Ordnung zu bringen. Seine sexuelle Erfüllung findet er bei Olive, die ihm gegen Bezahlung das Strumpfband unter ihrem Rock zeigt.

Charmian hält ihre Haushälterin Mrs Anthony für ihre ehemalige Zofe Jean Taylor, die jedoch bereits im öffentlichen Maud-Long-Altenheim in einem Saal mit anderen alten Frauen ihre Zeit totschlägt. Der Einblick in den Umgang der Pflegerinnen mit den hilflosen Frauen im Roman lässt leider eine ungute Assoziation zur aktuellen Situation in Pflegeheimen zu.

Godfrey sucht eine Pflegerin für Charmian und wählt die 73jährige Mabel Pettigrew aus, die Haushälterin seiner ehemaligen Geliebten Lisa.

Lisa ist tot und Mabel erpresst Godfrey mit ihrem Wissen um die lang vergangene Affäre; beide ahnen nicht, dass Godfreys Frau Charmian längst davon weiß und selbst ihre Geheimnisse hat.

Alle Protagonisten sind sich mehr oder weniger bewusst, dass sie am Ende ihres Lebens stehen. Sie werden aber spätestens daran gemahnt, als sie anonyme Anrufe erhalten. Unterschiedliche Stimmen bescheiden ihnen: „Bedenke, dass du sterben musst.“ Der gefürchtete, ersehnte, verdrängte und erforschte Tod selbst scheint die Menschen zu verfolgen und ihre Gedanken weg von Skandalen und Skandälchen hin zu der unangenehmen, unleugbaren Wahrheit zu lenken.

Ein pensionierter Inspektor soll sich des Falles annehmen, da die Polizei in der Sache nicht weiter kommt. Inspektor Mortimer nimmt den Auftrag ernst, so wie die Bewohnerinnen des Altersheims ihre Horoskope und ständigen Testamentsänderungen ernst nehmen, Alec seine Forschung und Godfrey das Hüten seiner Geheimnisse.

Natürlich handelt der Roman von einer anderen Zeit, Telefone haben Schnüre und parkende Autos müssen in der Dunkelheit ein Licht anlassen. Aber die makabere Wirklichkeit, die das Alter der Figuren offenbart, die Komik ihres Begehrens, ihrer Schrullen und Lügengebilde, sind zeitlos. Keine der Figuren ist „nett“, sie alle sind egoistisch und verlogen. Und sterblich.

Morbide und komisch verdient „Memento Mori“, wiederentdeckt zu werden!

Muriel Spark: Memento Mori (1959).
Diogenes, Januar 2018.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Corinna Griesbach.

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