Es ist Frühling in Paris, der Stadt an der Seine. Wir schreiben das Jahr 1926, es ist die Zeit des Jazz, der ungezügelten Lebenslust auch und gerade in der Stadt der Liebe. In den vielen Nachtclubs der Metropole wird bis in die frühen Morgenstunden getanzt und gefeiert, die Bühnen und Opernhäuser der Stadt laden zu Aufführungen, die Haut Volée prasst, als gäbe es kein Morgen. Für so machen Honoratior oder dessen Gattin ist das Leben allerdings allzu abrupt beendet. Eine Epidemie greift um sich, die Presse hat sie treffend als „Methusalem-Seuche“ bezeichnet, die Opfer stammen ausschließlich aus den gehobenen Kreisen. Während die weltberühmten Musiker der „Philharmonie der zwei Welten“, unter ihnen die stumme Anna, in der Oper gastieren und von einem Triumph zum nächsten eilen, altern die Befallenen, die alle einer Aufführung des Orchesters beiwohnten, in wenigen Stunden zu Greisen, bevor sie an Altersschwäche sterben. Vincent Lefèvre betreibt in der Stadt der Liebe das Nuits Folles, einen Nachtclub. Zwar ist es nicht das Moulin Rouge, doch die gastierenden Jazz Größen, unter ihnen auch die gefeierte Mistiguett, sorgen eigentlich für gefüllte Logen und einen guten Gewinn.
Inzwischen aber sind die Vergnügungssüchtigen vorsichtig geworden. Selbst herausragende Engagements locken kaum mehr Zuschauer in die Häuser – die Angst geht um an der Seine. Dazu kommt, dass sich Lefèvre Geld von der Näherin, einer der zwielichtigsten Gestalten der Stadt geliehen und dieses verspielt hat. Um das Darlehen, das immerhin mit 30 % verzinst wird zurückzuzahlen, müsste er sein geliebtes Automobil verkaufen – undenkbar, zumal dieses ein Geschenk der burschikosen Magali, seiner heimlichen Liebe, war. Wo also das benötigte Bare auftreiben?
Die Behörden haben für die Auflösung der Verbrechen eine Belohnung von 10.000 Francs ausgelobt. Da bliebe sogar noch etwas für die Runderneuerung des Nachtclubs übrig. So machen sich Lefèvre und Magali daran, die Geheimnisse um und hinter der Seuche zu erforschen – nicht ahnend, dass ihnen dabei so einige, ihnen nicht unbedingt wohl gesonnene Konkurrenten, Staatsdiener und Verbrecher auf der Spur sind …
Bücher die in Selbstverlagen erscheinen kann man in der Regel in zwei Kategorien einreihen. Da sind einmal die Titel, die handwerklich unzulänglich daherkommen, altbekannte Klischees wiederholen und schlicht langweilen. Dann gibt es Romane, die zwar bekannte Themata wiederholen, dabei auch leidlich unterhalten, aber nicht wirklich zu überzeugen wissen. Und dann gibt es, sehr selten, Bücher, die überraschen. Titel, die markant, die anders aufgezogen sind, die eine Zier für einen jeden Publikumsverlag darstellen würden, dass man sich als Leser unwillkürlich fragt, warum nur hier kein Lektor zugegriffen hat. Vorliegendes Buch gehört zu diesen seltenen Preziosen.
Miriam Pharo legt ein beeindruckendes Werk vor. Es ist eine Hommage an Paris, die Stadt der Liebe, der Musik und des Savoir Vivre, aber auch eine Huldigung an die Musik, die einen ganz wesentlichen Stellenwert im Roman einnimmt. Damit meine ich nicht unbedingt den Jazz, wie man angesichts der Zeit der Handlung in den wilden 20ern annehmen könnte, sondern die Macht, die von den klassischen Kompositionen ausgeht, die ein erstklassiges Ensemble auf meisterhaft gebauten Instrumenten zum Besten gibt.
In der Kulisse der magisch anmutenden französischen Hauptstadt erwartet den Leser eine Handlung, die geprägt ist durch ihre Melodie, die jede Menge Geheimnisse, unerwartete Wendungen und sensationelle Eröffnungen für den Rezipienten bereit hält. Mit dabei eine sehr zart geschilderte Liebesgeschichte, ein immer wieder durchschimmernder hintergründiger Humor und eine Prise Mystik. Dabei verzückt die sehr bewusst und versiert eingesetzte Sprache der Autorin, die verschiedenen Handlungs- und Zeitebenen münden letztlich in ein wunderbares, atmosphärisch dichtes Gemälde das rasante Abenteuerszenen mit melancholischen Abschnitten verbindet und mit markanten, vielschichtigen Gestalten punktet.
Ein tolles, ein wunderbares und ein befriedigendes Buch, das zudem noch versiert verfasst und sorgfältig gedruckt wurde – eine ganz große Empfehlung wert.
Miriam Pharo: Der Bund der Zwölf.
TWENTYSIX, Februar 2016.
380 Seiten, Taschenbuch, 12,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.