Michaela Karl: „Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen“

Maeve Brennan (1917 – 1993) misst 1,50 m, ist quirlig, klug und freiheitsliebend. 1933 zieht ihre Familie nach Washington. Die Berufung ihres Vaters als Legationsrat der irischen Gesandtschaft ermöglicht der Familie einen noch nie gekannten Luxus und eine finanzielle Sicherheit. Nach dem Umzug geht Maeve weiter zur Schule und studiert, während der Vater seine politische Karriere nach vorn treibt.

Eine unglückliche Liebe führt sie ohne Universitätsabschluss nach New York. Anfang der vierziger Jahre ist es nicht leicht, in Manhattan eine bezahlbare Wohnung zu finden. Maeve wird eine Frau, die häufig umzieht und dabei Greenwich Village bevorzugt. Während sie in New York als Bibliothekarin arbeitet, beginnt sie mit dem Schreiben. Ihre erste Kurzgeschichte Die Besucherin, wird nach ihrem Tod entdeckt und als eines ihrer wichtigsten Werke angesehen.

1943 beginnt sie als Werbetexterin bei Harpers’s Bazaar und wird schnell – auch über ihre Arbeit bei Junior Bazaar – zur Stilikone. Das Kleine Schwarze will nicht zu dem von der Mode diktierten Tellerrock passen. Doch für Maeve hat dieser Look durchaus praktische Erwägungen: Sie kann direkt von der Arbeit zur Party gehen und ist immer passend angezogen. Zu ihren Markenzeichen gehören hochgesteckte Haare, eine auffallende Brille, Perlenkette und ein stark geschminktes Gesicht. Dort, wo sie sich gerade aufhält, vermischt sich der Rauch ihrer Zigaretten mit einem luxuriösen, schweren Parfüm. 1949, nach einer erneuten Beförderung bei Harper’s Bazaar, wechselt sie zum New Yorker, ein Magazin, das speziell für die New Yorker Bevölkerung konzipiert worden ist und Heimat vieler berühmter Autoren war.

Maeves Kolumnen mit der zentralen Figur der langatmigen Dame schenken den Lesern einen guten Einblick in das New Yorker Leben. Maeve flaniert, beobachtet und pointiert das Besondere. Auch ihre scharfzüngigen Rezensionen fallen auf. Für ihre Kurzgeschichten gibt es ebenfalls reichlich Raum, die alle in Büchern zusammengefasst worden sind. Es könnte eigentlich nicht besser laufen: Maeve im Kreis von Berühmtheiten und reichen Förderern. Sie hat es geschafft.

Michaela Karl hat viel mehr als nur eine Biographie über die Stilikone und Autorin Maeve Brennan geschrieben. Ihr ausführliches Buch umfasst das soziale Leben in New York, ist gespickt mit Anekdoten aus der Sicht von Zeitzeugen und gibt den wichtigsten Werken der Autorin Raum. Einleitend erfährt der Leser viel über die politische Arbeit von Maeves Eltern. Deren Kampf für die Unabhängigkeit Irlands dürfte Vorbild für den Freiheitsdrang ihrer Tochter gewesen sein.

Michaela Karl taucht tief in die Frauenrechte ein, wenn sie das Leben der Frauen in den USA der fünfziger Jahren thematisiert. In der McCarthy Ära wurden nicht nur vermeintliche Kommunisten vernichtet. Die propagierten amerikanischen Werte nahmen unzähligen klugen, anfangs eigenständigen Frauen ihre Grundrechte, wenn sie heirateten. Der Ehemann bestimmte und durfte alles, während das traute Heim mit Kindern und Kirche die Freiheit der Ehefrau in jeder Hinsicht einschnürte. Ihre Konkurrentin, die Single-Frau, in der Gesellschaft systematisch belächelt und bemitleidet, behielt dagegen ihre Entscheidungsgewalt, sofern sie über eigenes Geld verfügte.

Maeve Brennan wählte den schweren Weg: Sie bleibt frei, auch wenn sie für drei Jahre die fünfte Ehefrau eines Kollegen wird. Eine irische Katholikin, geschieden, ohne Kinder und mit eigenem Kopf kann nur schwer bei ihren Landleuten auf Verständnis hoffen. Eine Intellektuelle hat es in den USA etwas leichter. Doch alles steht und fällt mit den finanziellen Mitteln.

Direkt und zwischen den Zeilen darf man die Biographie auch als einen Appell begreifen, das eigene Leben so zu gestalten, dass es ein freies, selbstbestimmtes Leben bleibt. Ob die Freiheit einer Frau nur außerhalb einer Ehe funktionieren kann, ist eine Frage, die von den persönlichen Umständen abhängt. Kann man das eigene Glück beziehungsweise Unglück besser ohne Ehemann tragen? Maeve Brennan hatte hierfür zahlreiche gute Freunde, die zeitweise auch ihre Liebhaber waren.

Ab ihrem 50. Lebensjahr spürt sie immer deutlicher die Einsamkeit. Auch ihre Freunde sind älter geworden, krank vom überdurchschnittlichen Alkoholkonsum. Die Parties und Saufgelage gehören allein den Erinnerungen. Ähnlich verhält es sich mit den Gebäuden und Straßenzügen in New York. Städteplaner lassen die Abrissbirne kreisen für ein neues, kaltes Design. Das Heimelige, Vertraute hat keinen Platz mehr. Im Laufe ihrer letzten Jahre verändert sich auch Maeve. Psychisch erkrankt, unter Demenz und Armut leidend, hat sie sich von ihren alten Freunden und den wenigen Familienmitgliedern abgewandt. Verwahrlost und ohne Obdach ist von ihrem einst eleganten Erscheinungsbild nichts mehr übrig. Maeve Brennan verstummt. Sie lebt ihre letzten drei Jahre in einem Pflegeheim in Queens, wo sie einem finalen Herzversagen entgegen dämmert.

Inzwischen hat eine neue Generation von Lesern die Autorin Maeve Brennan für sich entdeckt. Sie gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen ihrer Generation.

„… Brennan kann ganz schön grausam sein, wenn sie ihre Charaktere aufspießt, vor allen die, die in kleinbürgerlichen Zwangsverhältnissen feststecken. Aber sie ist scharfsinnig und besitzt ein Gerechtigkeitsempfinden, das auch zum Mitleid fähig ist.“ (S. 290)

An zahlreichen Beispielen zeigt Michaela Karl: Ohne Kunst kann eine Gesellschaft nicht leben. Und der Künstler kann ohne die Gesellschaft nicht leben.

Michaela Karl: „Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen“: Maeve Brennan. Eine Biographie.
Hoffmann & Campe, April 2019.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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