Der Schriftsteller und Journalist Maxim Biller (Jahrgang 1960) steht mit seinem neuesten Buch „Sechs Koffer“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Der Roman ist am 8. August 2018 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Darin erzählt Maxim Biller die Geschichte einer jüdisch-russischen Familie, die Ähnlichkeiten mit seiner eigenen Familiengeschichte aufweist. Der Ich-Erzähler ist der junge Sohn der Familie, der in den Geheimnissen, Gerüchten und Geschichten um den Tod des Großvaters Schmil Biller, des „Taten“, stöbert. Dabei hat jede und jeder in der Familie ihre bzw. seine eigene Version darüber, wie es 1960 zur Hinrichtung des Großvaters durch den KGB kam.
Der Roman beginnt 1965 in Prag. Die Eltern des Erzählers, Semjon (Sjoma) und Rada, sind aus Moskau nach Prag geflüchtet. Sjoma arbeitet als Übersetzer, Rada in einem Institut. Der Bruder von Sjoma, Dima, wird aus dem Gefängnis entlassen. Dima wird von der Familie für den Verrat und den Tod des Großvaters verantwortlich gemacht. Aber war er es wirklich? Oder war es vielleicht Dimas schöne Ehefrau, Natalia Gelernter? Natalia dreht Filme („Hanka Zweigová 1967“) und war einst die Geliebte von Sjoma. Später bringt sie sich in Genf um.
1969 verlassen Sjoma und Rada mit ihren Kindern Prag und gehen nach Hamburg.
Jahre später besucht der inzwischen fünfzehnjährige Erzähler seinen Onkel Dima in Zürich. Er versucht immer noch hinter das Familiengeheimnis zu kommen. Dazu will er Kontakt zu Lev, einem weiteren Bruder seines Vaters, aufnehmen. Lev spricht nicht mehr mit der Familie. Der Bruder Wladimir lebt seit den 1950er Jahren in Rio de Janeiro. Der Junge trifft seine Tante Natalia und seine Cousine Ettie. Bei Onkel Dima findet er eine „graue, dünne Mappe“. Findet sich darin des Rätsels Lösung?
Nach dem Tod von Sjoma schickt Rada ihrem Sohn, der inzwischen in Berlin lebt, einen Brief von Natalia an Sjoma, den sie während ihres Aufenthaltes in Kanada schrieb. Darin geht es im Wesentlichen um die Dreharbeiten zu „Hanka Zweigová“ und was der „Tate“ ihr beim Abschied sagte.
1986 sehen sich Sjoma und Lev nach über zwanzig Jahren wieder. Es ist die Beerdigung von Dima. Und Lev denkt noch einmal über die Vergangenheit und sein Verhältnis zu seinen Brüdern und zu seinem Vater Schmil nach. Der Verrat bleibt Familiensache.
2016 schließlich wird ein Buch von Jelena, der Schwester des Erzählers, über die Familiengeschichte in England veröffentlicht. In Deutschland findet das Buch wenig Beachtung. In einem Radio-Interview erzählt Jelena „wie es wirklich gewesen war“.
Maxim Biller hat ein ganzes Familienepos in eine Kurzfassung gebracht. Das ist extrem dicht und komprimiert. Als Lesende muss ich mich anstrengen, das rasante Tempo, in dem Biller erzählt, mitzuhalten. Er entwirft ein komplexes, beinahe undurchdringliches familiäres Beziehungsgeflecht, in dem ein Verrat, ein Verbrechen sicher und scheinbar unaufdeckbar, versteckt ist. Und diese Suche nach der Wahrheit, nach einem Schuldigen in diesem Dickicht aus Lügen, Halb- und Unwahrheiten, Liebe und Hass ist spannend. So spannend wie die Zeitgeschichte, die Geschichte einer Flucht aus der ehemaligen Sowjetunion bis in das heutige Berlin und die politischen und gesellschaftlichen Verwicklungen der Nachkriegszeit, die Biller beinahe nebenher einfließen lässt. Und deshalb ist „Sechs Koffer“ trotz (oder vielleicht wegen) seiner Kürze ein wuchtiges Werk. Und hätte Maxim Biller an der einen oder anderen Stelle des Romans sein selbstdarstellerisches Ego im Zaum gehalten, dann wäre es ein großartiges Werk.
Maxim Biller: Sechs Koffer.
Kiepenheuer&Witsch, August 2018.
208 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.
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