Matt Haig: Wie man die Zeit anhält

Wenn man Tom so ansieht, würde niemand vermuten, dass er schon 439 Jahre alt ist. Er sieht nämlich eher wie ein Mann von etwa 40 Jahren aus. Das liegt daran, dass Tom zu einer besonderen Menschengruppe gehört, die ab der Pubertät viel langsamer altert. Deswegen war Tom über die Jahre bei den wichtigsten geschichtlichen Ereignissen dabei und hat allerhand erlebt seit dem Mittelalter. Davon kann er aber niemandem erzählen, denn die Menschen um ihn herum dürfen niemals von seinem Geheimnis wissen. Etwa alle acht Jahre muss Tom umziehen, seinen Namen wechseln, seine Identität – damit niemand merkt, dass er keinen Deut älter aussieht als noch vor Jahren. Er gehört zu einer Organisation, die sich für ihn und seinesgleichen – denn einige wenige Menschen wie ihn gibt es sehr wohl – einsetzt. Sie hilft ihm beim Wechsel der Identitäten und gibt eine eiserne Regel aus: „Verliebe dich niemals!“ Und was wenn doch …?

Matt Haig hat mit „Wie man die Zeit anhält“ einen leicht übersinnlich angehauchten Roman geschrieben. Tom hat sich natürlich über die Jahre sehr wohl verliebt. In Rose. Das ist jetzt etwa 420 Jahre her, Rose hat deshalb verständlicherweise schon das Zeitliche gesegnet. Ihre gemeinsame Tochter vielleicht schon, denn noch vor ihrem Tod behauptete Rose, dass die Tochter wie Tom sei und langsamer altere. Deshalb befindet sich Tom seit über 400 Jahren auf der Suche nach seiner Tochter. In der Gegenwart verschlägt es ihn als Geschichtslehrer an eine Schule, wo er ausgiebig die nachfolgende Generation kennenlernen kann und ihnen Geschichtswissen vermitteln möchte. Wenn die bloß wüssten, dass Tom bei manchen Unterrichtsthemen live in der ersten Reihe dabeistand. Für ihn ist Shakespeare nicht nur irgendjemand, er hat ihm tatsächlich mal die Hand geschüttelt!

Die Romanidee ist wirklich nicht schlecht. Die Gesellschaft, der sich Tom angeschlossen hat, versammelt alle Albatrosse, so nennt sie Menschen wie Tom, um sich herum. Die gewöhnliche Weltpopulation wird als Eintagsfliegen bezeichnet, die den langlebigen Albatrossen gegenüberstehen. Die Gesellschaft hat mitnichten nur gute Absichten. Sie hilft zwar beim Identitätswechsel, weigert man sich allerdings, ihr beizutreten, kann sie ganz schön giftig werden – das musste auch schon Tom lernen. Er erhofft sich von ihr dennoch seine Tochter zu finden und bleibt am Ball. Die Idee stimmt also, die Umsetzung hat stellenweise so ihre Schwächen. Man pendelt zwischen Gegenwart und unterschiedlichen Vergangenheiten. Dabei ist Orientierung gut möglich, denn Jahreszahlen helfen dabei, das aktuelle Geschehen einzuschätzen. Wo es dann hakt, ist der Verlauf der Handlung. Alles wird irgendwie sehr glatt, vorhersehbar und fast schon ein bisschen langweilig. Die Idee bleibt dabei leider auf der Strecke.

Kann man lesen, muss man aber nicht!

Matt Haig: Wie man die Zeit anhält.
dtv, April 2018.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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