Marie von Ebner-Eschenbach : Unsühnbar (1890)

marieMaria liebt den umtriebigen Tessin. Doch ihr Vater will sie mit dem seriösen Hermann, einem anderen Grafen, verheiraten. Kurz nach der Ehe erfährt sie, dass der Vater ihre Mutter betrogen und einen Sohn mit dem Namen ‚Wolfi‘ hat. Nach der Geburt ihres Sohnes erscheint der Halbbruder, der todkrank für seine letzte Lebenszeit um ein Obdach bittet. Unter dem Gesichtspunkt der christlichen Nächstenliebe wird ihm Pflege und ein kleines Haus am Rande des nächsten Dorfes gewährt. Die Halbgeschwister lernen sich über Marias Pflichtbesuche kennen. Kurz vor seinem Tod bittet er Maria um ein Treffen. Doch statt Wolfi trifft sie auf ihre alte Liebe Tessin, der – endlich mit ihr allein – sie überrumpelt. Es wird ein Treffen mit weitreichenden Folgen.
Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) gehörte zu den Frauen, die vorbildhaft ihren eigenen Weg auch als Ehefrau ging. Sie gehörte zum böhmischen Adel und heiratete ihren Cousin Moritz von Ebner-Eschenbach. Beide waren gebildet, vermögend, berufstätig und blieben bis zu seinem Tod verheiratet. Die Ehe war kinderlos. Mitte Zwanzig begann Marie von Ebner-Eschenbach mit dem erfolgreichen Schreiben von Erzählungen, Romanen und Theaterstücken. Nach ihrem Umzug absolvierte sie in Wien im Alter von 49 Jahren eine Ausbildung zur Uhrmacherin, mit der sie ihre Leidenschaft, das Sammeln von Uhren, perfektionierte.
1889 oder 1890 erschien die Erzählung »Unsühnbar«, in der sie die Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau im Patriarchat und in arrangierten Ehen in Frage stellt. Die Ungleichbehandlung unter dem Deckmantel der Moral nimmt sie nuanciert auseinander. Auf der einen Seite werden Frauen zur Ehe gezwungen und landen wie Besitz in der Vitrine des Ehemannes. Gleichzeitig müssen sie die erforderlichen Stammhalter gebären, während kulturelle Vorbilder »ewige Liebe und absolute Treue« verlangen. Maria liebt den Herzensbrecher Tessin. Natürlich will ihr Vater für seine Tochter keinen »Frauenhelden«. Dies kann er ihr überzeugend vermitteln, so dass der anfängliche Bruch zwischen Tochter und Vater gekittet wird. Als männliche Gegenpole zu Tessin und dem Vater dient Hermann. Denn die Autorin lässt den Ehemann reumütig eingestehen, er habe Schuld auf sich geladen, weil er Maria um jeden Preis heiraten wollte, die seine Liebe offensichtlich nicht erwiderte. Im Laufe der harmonischen Ehe lernt Maria, Hermann zu lieben und in jeder Hinsicht schätzen. Sie darf für damalige Verhältnisse frei leben und entscheiden. Die Autorin gibt auch Maria, die eingebettet in einer Familie Geborgenheit erfährt, einen weiblichen Gegenpol in Gestalt der einsamen Freundin »Fee«. Diese junge und ungebildete Witwe darf alleine über ihr Vermögen verfügen und braucht niemanden um Erlaubnis zu fragen.
Vor diesem Kontext setzt sich Maria mit den Regeln ihrer Gesellschaft aus. Die Verfehlungen des Vaters toleriert sie, während sie sich selbst gnadenlos verurteilt.
Auch heute haben Frauen noch die Neigung, sich selbst und ihre Konkurrentinnen besonders streng zu beurteilen. Die Normen vor 126 Jahren haben sich im Vergleich zu heute sicherlich stark geändert, dafür haben sie anderen – mitunter fragwürdigen – Platz gemacht. Stimmen wie die von Marie von Ebner-Eschenbach werden deshalb auch heute noch in der Literatur gebraucht.

Marie von Ebner-Eschenbach : Unsühnbar (1890).
Manesse Verlag, März 2016.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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